Wirtschaftskapital vernetztes Wissen

Dieser Artikel von mir wurde in der Fachzeitschrift ebusiness.de veröffentlicht und ist in der Ausgabe von August 2002 zu finden.

Der aktuelle Boom von EAI – Enterprise Application Integration – wird motiviert durch die Notwendigkeit, Daten unternehmensweit zu integrieren. Knowledge Management andererseits hat zum Ziel, Wissen, das über diverse Quellen – Dokumente, Datenbanken, Prozesse und vor allem Menschen – verteilt ist, für Menschen nicht nur verfügbar, sondern nachvollziehbar zu machen. Um die Vision des wissenden Unternehmens – Enterprise Knowledge Integration – zu realisieren, müssen nicht Daten sondern Bedeutungszusammenhänge bereichsübergreifend transparent gemacht werden. Der Schlüssel zum Erfolg liegt dabei in dem Einsatz semantischer Technologien.

Die enorme Komplexität von KM liegt neben den viel zitierten kulturellen Barrieren vor allem in der Vielschichtigkeit menschlichen Wissens. Informationen sind in vielfältiger Weise auf eine Organisation verteilt: sowohl in den Köpfen der Mitarbeiter als auch in Systemen, codiert in Prozessen oder Produkten. Dieses Informationskapital als handlungsrelevantes Wissen und damit als wirtschaftliches Kapital zu aktivieren – das ist das eigentliche Ziel von KM.

Doch was muss ein Unternehmen tun, um dieses verteilte Wissen so aufzubereiten, dass es wirklich verwertbar und multiplizierbar ist? Es bedarf zweierlei: der Offenlegung versteckten Wissens sowie der Zusammenführung verschiedenster Informationen. Die außerordentliche Problematik, mit der sich immer mehr Organisationen konfrontiert sehen, liegt darin, dass Informationen nicht nur aus unterschiedlichsten Bereichen sondern auch aus heterogenen Datenquellen für verschiedenste Benutzergruppen anschaulich zusammengeführt werden müssen. Eine prototypische Anforderung: der Einkauf eines Unternehmens benötigt Informationen sowohl aus dem Vertrieb (Welcher Kunde hat welche Anforderungen?), der Entwicklungsabteilung (Welches Material wird für die Entwicklung neuer Produkte benötigt?) sowie der Fertigung/Logistik (In welchem Prozess werden eingekaufte Komponenten in welcher Stückzahl verarbeitet?). Ein Mitarbeiter im Einkauf benötigt also Einblicke in verschiedenste Abteilungen und Prozesse. Kaufmännisches Wissen muss in Verbindung gebracht werden mit technischen und logistischen Informationen. Unterstützung – insbesondere für unerfahrene Mitarbeiter – bei dieser vernetzten Aufgabe ist dringend geboten. Herkömmliche Dateiablagen oder textbasierte Suchmaschinen helfen hier wenig, weil sie den Kontext der vernetzten Informationen nicht adäquat berücksichtigen können.

Der Lösungsansatz zur Überbrückung dieser organisatorischen und technischen Barrieren liegt in der semantischen Vernetzung von Informationen. Damit Menschen sich Wissen erarbeiten können, bedarf es einer qualifizierten Verknüpfung der relevanten Begriffe. Genau wie man im Gespräch mit anderen neues Wissen erschließt, bedarf es auch für die IT-gestützte Wissensbeschaffung der Formulierung von Bedeutungszusammenhängen, sprich einer semantischen Basis. Erst diese erlaubt Menschen, Informationen kontext-orientiert zu verarbeiten, d.h. in ihren eigenen Erfahrungshintergrund einzuordnen und zielgerichtet neue Erkenntnisse zu gewinnen. In einem semantischen Netz können die Zusammenhänge, die im Einkauf handlungsweisend sind, nachvollziehbar beschrieben werden. Gleichzeitig dienen die im Netz definierten Begriffe als multi-dimensionaler Index zur Organisation von Informationsressourcen. Einarbeitung in Themengebiete und Suche nach Dokumenten fallen bei der Verwendung zusammen.

Der Wunsch nach Integration und damit verbundenen Effizienzsteigerungen zeigt sich auch in dem aktuellen Trend zu Enterprise Application Integration (EAI). Nicht immer ist es möglich, unternehmensweit mit einheitlichen Systemen, Datenbanken oder Software zu arbeiten. Dann gilt es, Applikationen interoperabel zu machen und mittels geeigneter Datentransformationen durchgängige IT-gestützte Prozesse zu ermöglichen. EAI ist ein sinnvoller und notwendiger Ansatz, der jedoch die oben beschriebene Grundsatzproblematik des Wissensmanagements nicht löst:

  • EAI ist eine Domäne der IT-Abteilungen. Die Berücksichtigung der fachlichen Aspekte erfolgt über Spezifikationen, an denen auch Fachexperten mitarbeiten, deren Umsetzung aber von Software-Entwicklern vorgenommen wird. Eine ewige Quelle von Missverständnissen! Semantische Netze bieten einen nicht-programmatischen Ansatz: die Fachexperten selbst können auf einfache Weise ihr Wissen in verschiedenen Sichten modellieren, dass sich dann anderen Mitarbeitern leichter erschließt und ihnen hilft, die für sie relevanten Informationen zu filtern.
  • EAI operiert mit Daten auf technischer Ebene. Die Aufbereitung der Daten zu wertvollen Informationen erfolgt erst in den entsprechenden Anwendungen. Erneut liegt der Schlüssel zu dem Wert der Daten in dem Design der Anwendungssysteme: eine CRM-Software verknüpft verschiedenste Daten zu Kunden und Produkten und bietet dem Anwender dadurch einen gezielten Zugriff auf die Informationen. Semantische Technologien gehen eine Stufe weiter: Die Verknüpfung der Daten liegt bereits in der vernetzten Informationsstruktur. Es erfolgt eine Integration von Informationen auf der Bedeutungsebene. Die Anwendungssysteme müssen nicht mehr fachspezifisch programmiert werden, sondern sie sind generisch und darauf optimiert, die Bedeutungszusammenhänge dem Anwender übersichtlich darzustellen. Zu sehen, welcher Kunde welche Produkte gekauft hat, ist ein Problem der Datenlogistik – nicht des Wissensmanagements. Wissensmanagement zielt auf die Frage, wie konkret der Vertriebsprozess funktioniert und welche Verbindungen zwischen Kunden, Produkten, Vertriebskanälen, Marketingmaßnahmen usw. wichtig sind und in welchen Fällen genutzt werden sollten. Dieses Wissen steckt nicht in den Daten, sondern in den Köpfen der Experten oder in den von ihnen verfassten Dokumenten. Semantisches Wissensmanagement löst also die Frage, wie Wissen aus vielfältigen Quellen erschlossen werden kann. Semantische Verknüpfungen klären die Zusammenhänge zwischen wichtigen Begrifflichkeiten. Intelligente Systeme stellen zusätzlich an jedem Punkt dieser Informationskette relevante Informationen in Form von weiterführenden Dokumenten automatisch zur Verfügung. Solche Anwendungen fördern das vernetzte Denken der Anwender und steigern die Qualität der Prozesse. Ein semantischer Ansatz des Wissensmanagements führt auf diese Weise von EAI in die nächste Ebene: Enterprise Knowledge Integration (EKI).

In diesem Sinne werden sich auch Enterprise Information Portale (EIP) in die Richtung entwickeln, nicht bloß einen einheitlichen Browser-basierten Zugriff auf Daten und Dokumente zu liefern. Durch die Navigation über semantische Beziehungen bieten sie den Anwendern konkrete Unterstützung bei der Erschließung neuer Informationen. Wissensmanagement und eLearning wachsen an dieser Stelle zusammen.

Umgekehrt erlangen semantische Netze aber durchaus eine Bedeutung für die klassischen EAI-Felder. Denn auch hier gilt: die über B2B-Marktplätze ausgetauschten Informationen sind in semantischen Netzen durchgängiger verarbeitbar. Dank XML-Repräsentation können sie direkt zwischen Computern ausgetauscht werden. Für die Einbeziehung des Menschen auf dem Marktplatz, bedarf es jedoch keiner programmatischen Aufwände mehr, da sich der Informationsinhalt eines semantischen Netzes selbständig erschließen lässt.

Das tieferliegende Problem von KM liegt also nicht in der Datenintegration, sondern in der Vermittlung kontext-orientierter Bedeutungszusammenhänge. Das Problem als solches erkannt, lässt es sich mit semantischen Technologien bannen.

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