Vom Wort zum Wissen

Mein Beitrag aus der Fachzeitschrift IWP (Information, Wissenschaft & Praxis),
Veröffentlichungsdatum März 2004

Semantische Netze als Mittel gegen die Informationsflut

„Thesaurus linguae latinae“ – so heißt einer der frühesten Wort-Sammlungen. Seit Alters her beschäftigen sich Menschen mit der qualifizierten Aufbereitung von Information. Noch älter ist sogar das Konzept der Ontologie (wörtlich: die „Lehre vom Sein“), die sich als Disziplin der Philosophie bereits seit Aristoteles (384-322 v.Chr.) mit einer objektivistischen Beschreibung der Wirklichkeit beschäftigt. Ontologien – als Disziplin des modernen Wissensmanagements – sind eine Methode, in möglichst kompakter Form, d.h. unter Verwendung von Konzepten in verschiedenen Meta-Ebenen die reale Welt zu beschreiben.

Thesaurus und Ontologie stellen zwei Konzepte dar, die auch heute noch in der Wissenschaft – und in jüngster Zeit mit zunehmender Bedeutung auch in der Wirtschaft – im Bereich des Informations- und Wissensmanagements zum Einsatz kommen. Beide spannen gewissermaßen den konzeptionellen Bogen auf, zwischen denen sich ein pragmatisches Wissensmanagement heutzutage ausrichtet und sich in Form sog. semantischer Netze – auch Wissensnetze genannt – wiederfindet.

Thesauri: Informationsselektion

Das Konzept eines Thesaurus hat in seiner Geschichte verschiedene Bedeutungen erlangt. Ursprünglich als Wortschatz einer Sprache verstanden, entwickelten sich Thesauri seit Mitte des 19. Jh. zu Synonymwortbüchern. Gemäß DIN 1463 versteht man unter einem Thesaurus:

„[…] eine geordnete Zusammenstellung von Begriffen und deren Bezeichnungen, die in einem Dokumentationsgebiet zum Indexieren, Speichern und Wiederauffinden dient“.

Ein Thesaurus dient also dem Indexieren zum späteren Selektieren von Information auf der Grundlage eines verbindlichen – domänenspezifischen – Vokabulars. Syntaktisch besteht ein Thesaurus aus Begriffen, die verschiedene Bezeichner tragen und Beziehungen zwischen diesen Begriffen. Unterschiedliche Bezeichner sind dabei beispielsweise Synonyme, Begriffsnummer oder andere Notationen, die auf den gleichen Begriff (im Sinne eines Konzeptes) verweisen. DIN 1463 sieht in Thesauri auch spezielle Arten von Beziehungen vor, nämlich Äquivalenzrelation, Hierarchische Relation und Assoziationsrelation. Die Bedeutung einer Äquivalenzrelation oder auch die möglichen Arten von Assoziationen sind dabei allerdings nicht prägnant beschreibbar.

Ein Thesaurus eignet sich sehr gut für die Indexierung von Information (im Sinne eines Wörterbuches) sowie für die Erschließung weiterer Informationen auf Basis der vom Thesaurus angezeigten verwandten Begriffe. Im Zeitalter der Digitalisierung sind die Anforderungen an das Informationsmanagement aber deutlich gestiegen. So leiden viele Wissensarbeiter nicht unter einem Mangel an Informationen, sondern an Methoden der effizienten Filterung derjenigen solcher Informationen, die aus der elektronischen, multi-medialen Informationsflut für den eigenen Wissens- und Handlungsbedarf entscheidend sind. Vor dem Hintergrund der überragenden wirtschaftlichen Bedeutung der Ressource Wissen für die Schaffung wertschöpfender Produkte und Dienstleistungen spielt heutzutage daher zunehmend neben dem reinen Managament von Informationen das Wissensmanagement eine bedeutende Rolle.

Vom Thesaurus zum Semantischen Netz

Thesauri unterstützen über die Indexierung von Dokumenten die wichtigen Prozesse der Wissensidentifizierung sowie des Wissenserwerbs. Zu den Kernprozessen, die ein modernes Wissensmanagement ausmachen, zählen nach Probst et al. [1] aber auch die Wissensteilung, sowie die Bewahrung und operative Nutzung von Wissen. Mit anderen Worten: für das Wissensmanagement ist es nicht ausreichend, Informationen zu selektieren, sondern es ist notwendig, möglichst effizient entscheidungsrelevante Informationen zu identifizieren, sie im individuellen Anforderungskontext zu vestehen, um sie schlussendlich in eigenes Wissen zu überführen und auf dessen Grundlage zu handeln. Um Anwender dabei zu unterstützen, ist eine Strukturierung über einfache „verwandt mit“-Beziehungen nicht ausreichend, sondern es geht darum, wirkliche Bedeutungszusammenhänge aufzuzeigen.

Rein syntaktisch weisen semantische Netze zunächst große Ähnlichkeiten mit Thesauri auf. In Erweiterung der obigen Definition eines Thesaurus lässt sich dies wie folgt beschreiben:

Ein semantisches Netz ist eine geordnete Zusammenstellung von Begriffen und deren Bezeichnungen, deren Zusammenhang über beliebige Beziehungen miteinander definiert wird. Sowohl Begriffe als auch Beziehungen sind typisierbar und es existiert eine Grammatik für deren Verwendung.

Somit stellen Thesauri einen Spezialfall eines semantischen Netzes dar. Letztere bieten deutlich erweiterte Strukturierungsmerkmale und erschließen somit auch neue Einsatzbereiche (s.u.).

Insgesamt weisen semantische Netze drei wesentliche Erweiterungen gegenüber einem Thesaurus auf:

  1. Explizite Abbildung von Kontexten
  2. Beschreibbarkeit von Informationsmustern (Meta-Strukturierung)
  3. Sprachliche Ausdrucksstärke durch Verwendung prädikativer Beziehungen

Dies soll im folgendem anhand eines Beispiels aus der Versicherungswirtschaft erläutert werden. Dabei beginnen wir mit einer sehr vertrauten Strukturierungsmethode, die sich in allen Formen semantischer Netze – und somit insbesondere auch in Thesauri – wiederfindet, nämlich einer hierarchischen Begriffsstruktur, auch Taxonomie genannt.

Taxonomien als Bestandteil von semantischen Netzen

Abb. 1 zeigt einen Ausschnitt aus einer Taxonomie von Versicherungssparten.

Abbildung 1: Eine hierarchische Struktur (Taxonomie) von Versicherungssparten, modelliert mit dem Produkt L4 Modeller.

Allgemein werden beim Erstellen einer Taxonomie Begriffe nach bestimmten Ordnungskriterien miteinander verglichen und in der Rolle des Allgemeineren und des Spezielleren zueinander in Beziehung gesetzt. Die angewandten Ordnungskriterien dienen dazu, konzeptionelle Gemeinsamkeiten in Form von Überbegriffen und Unterschiede in Form von Unterbegriffen herauszuarbeiten. Das Aufstellen der Kriterien und ihrer Wertigkeit zueinander ist nicht einheitlich oder gar selbstverständlich. So mag die dargestellte Struktur vielleicht aus Sicht der Produktentwicklung korrekt sein und auch die innere Struktur der von der Versicherung vertriebenen Produkte widerspiegeln. Gleichzeitig können die genannten Begriffe jedoch auch Geschäftsfelder darstellen, die als solche ganz anders geordnet wären. Hier spielen dann nämlich andere Ordnungskriterien eine Rolle, wie beispielsweise die historische Entwicklung und die Konzernstruktur des Unternehmens oder auch regionale Unterschiede einzelner Firmenstandorte.

Die Erstellung einer sinnvollen und auch für verschiedene Benutzer tragfähigen Taxonomie (oder analog einer Verzeichnisstruktur zur Ordnung elektronischer Dokumente) ist eine sehr schwierige Aufgabe. Die Erfahrung zeigt, dass selbst bei äußerster Sorgfalt keine eindeutige und für verschiedene Zielgruppen gültige Struktur gefunden werden kann. Die Ursache ist klar: Die Komplexität des in einer Organisation vorhandenen Wissens kann nur abgebildet werden, wenn die unterschiedlichen Sichtweisen, die verschiedene Zielgruppen in der Organisation haben, explizit berücksichtigt werden. Hierarchische Strukturen sind dabei häufig sinnvoll und für definierte Ausschnitte auch korrekt. In einer ganzheitlichen Sicht bedarf es daneben jedoch zusätzlich kontext-orientierter assoziativer Verknüpfungen, die verschiedene Substrukturen in einen sinnvollen Zusammenhang stellen.

Kontext-orientierte Sichten schaffen

Genau hier haben Semantische Netze ihre konzeptionelle Stärke, erlauben sie doch unter Verwendung geeigneter Tools eine einfache Beschreibung dieser Zusammenhänge. Abb. 2 zeigt einen weiteren Ausschnitt aus dem gleichen semantischen Netz wie Abb. 1. Das Konzept der Versicherungssparte wird hier in graphischer Notation übersichtlich in einen Zusammenhang mit anderen Konzepten gestellt. Die fachliche Sicht „Experte – entwickelt – Produkt, (für) Versicherungssparte“ wird hier in Zusammenhang damit gebracht, dass gewisse Versicherungssparten innerhalb einzelner strategischer Projekte von besonderer Bedeutung sind. Wenn dies auch aus der isolierten Sicht des Experten zunächst keine besondere Relevanz haben mag, so ist es doch für die Gesamtorganisation von entscheidender Bedeutung. Und letztlich muss auch der Experte in seiner Arbeit strategische Vorgaben kennen und in seinen Konzepten berücksichtigen.

Abbildung 2: Sicht auf ein semantisches Netz. Im konkreten Fall Formulierung von Zusammenhängen auf der Meta-Ebene, die wiederum als Vorlage für konkrete Informationszusammenhänge dienen können.

Semantische Netze ermöglichen also verschiedene Sichten in einem gemeinsamen Modell zu konsolidieren und damit Synergien unterschiedlicher Zielgruppen innerhalb der Organisation zu fördern.

Rein syntaktisch enthalten semantische Netze dabei gegenüber Thesauri erweiterte Strukturmerkmale zur expliziten Beschreibung von Kontexten. Der Topic Map – Standard[1] kennt hierfür das Rollenkonzept (ein Begriff kann pro Assoziation eine unterschiedliche Rolle spielen) und den sog. scope (engl. für „Bereich“/„Kontext“) mit dem unterschiedliche Bezeichner eines Begriffes explizit unterschiedlichen Kontexten zugeordnet werden können.

Für das Wissensmanagement spielt es dabei eine ganz besondere Rolle, dass damit auch der organisatorische Kontext von Wissen transparent gemacht werden kann. Das obige Beispiel illustriert dies. So ist gleichzeitig in dem semantischen Netz auch die Information verfügbar, welchem Unternehmen ein Experte angehört oder an welchen Projekten er teilnimmt. Wertvoll sind Informationen erst dann, wenn sie Menschen in die Lage versetzen, konkrete Entscheidungen und nachfolgende Handlungen zu unterstützen. Innerhalb einer Organisation erfolgt dies jedoch fast immer unter Berücksichtigung und Nutzung der von ihr vorgegebenen Rahmenbedingungen. Dafür bedarf es dann jedoch auch einer Kenntnis dieser Strukturen, die ebenfalls über das semantische Netz – in Verbindung mit den jeweiligen Inhalten – gegeben wird.

Bereichsübergreifende Wiederverwendbarkeit dank Meta-Modellierung

Abb. 2 verdeutlicht noch einen weiteren Vorteil semantischer Netze. Sie erlauben die Formulierung von beliebigen Zusammenhängen auf einem beliebigen Abstraktionsniveau. Die in der Abbildung beschriebenen Zusammenhänge gelten allgemein für verschiedene Organisationen, mit anderen Worten: sie gelten auf einer Meta-Ebene. Die in diesem semantischen Netz gemachten Aussagen (von denen das Diagramm nur einen Ausschnitt beinhaltet) sind also frei auf andere Organisationen übertragbar, wo sie als Vorlage zur Formulierung konkreter Zusammenhänge dienen (gemäß Abb. 2 bspw. welche strategischen Projekte von welchem Unternehmen unter Einbindung welcher Experten und in bezug auf welches Geschäftsfeld betrieben werden). Sie stellen somit einen wiederverwendbaren Wert dar. Im Sinne einer Informationsarchitektur lassen sich derartige Vorlagen in horizontalen Bibliotheken organisieren und projektübergreifend einsetzen. Thesauri dagegen sind nur im Sinne vertikaler (fachlicher) Bibliotheken einsetzbar. In semantischen Netzen ist beides modular miteinander kombinierbar.

Sprachliche Ausdrucksstärke

Kennzeichnend für Semantische Netze ist zudem ihre Ausdrucksstärke. Da sie sich an der Grammatik der menschlichen Sprache anstatt an technischen Programmiersprachen orientieren, sind sie für Menschen ebenso leicht lesbar wie formulierbar. Über die Verwendung von Prädikaten lassen sich Aussagen prägnant formulieren. Da die Prädikate zudem typisiert sind, lassen sich über semantische Netze damit auch Vorgänge und Zuständigkeiten bis hin zu kausalen Wirkungszusammenhängen abbilden. Semantische Netze bieten damit eine hervorragende Möglichkeit, Informationen verdichtet und wiederverwendbar zu organisieren. Und diese dabei so zu ordnen, dass sie Menschen unmittelbar in ihren Entscheidungsprozessen operativ unterstützen, indem sie den Handlungskontext des Anwenders explizit beschreiben. So eignet sich eine semantische Modellierung – wiederum bezogen auf die Versicherungswirtschaft – hervorragend zur maschinellen Unterstützung wiederkehrender, wissensintensiver Tätigkeiten wie der Schadensregulierung. Das hierfür notwendige Wissen findet sich oftmals versteckt in umfangreichen AGBs oder Handbüchern. Eine korrekte Bearbeitung der Fälle erfordert daher einen sehr umfangreichen Kenntnisstand. Anders im Fall eines semantischen Netzes, wo die Schadensbearbeitung direkt entlang einer im Netz abgebildeten assoziativen Kette voneinander abhängiger Informationen erfolgt, die für die korrekte Bearbeitung des Sachverhaltes notwendig sind. Das Netz weist situativ den Weg zu weiteren Vorgängen oder benötigten Formularen bzw. Zusatzinformation.

Indexierung und Klassifikation mit semantischen Netzen

Die besprochenen Erweiterungen eines semantischen Netzes gegenüber einem Thesaurus ändern jedoch nichts daran, dass es im Kern ebenso für die Indexierung und Klassifikation von Informationsressourcen eingesetzt werden kann. Dafür ist es in vielen Fällen sinnvoll, Thesauri – wo vorhanden – in semantische Netze zu importieren und dort mit den genannten Erweiterungen zu versehen.

Die Verbindung zwischen dem Netz und den Informationsressourcen sollte dabei wechselseitig sein. Heißt: So sinnvoll eine Indexierung eines Dokumentenbestandes über ein kontrolliertes Begriffssystem auch ist, so wichtig ist auch eine Anpassung der Begriffsstruktur an die dynamische inhaltliche Entwicklung der Informationen selbst. Das semantische Netz sollte also nicht nur einen einmaligen statischen Blick auf Informationen bieten, sondern deren gesamten Lebenszyklus zu managen helfen. Dafür ist eine Kombination mit Methoden des TextMining ein gangbarer Weg, wie er beispielsweise in der L4-Plattform gewählt wird (vgl. [2]).

Abgrenzung semantische Netze/Ontologien

Der Vollständigkeit halber bedarf es in diesem Zusammenhang auch des Hinweises auf das verallgemeinerte Konzept einer Ontologie, von denen im Bereich des Wissensmanagements inzwischen häufiger die Rede ist. Dabei ist es sinnvoll, zwischen unterschiedlichen Arten von Ontologien zu unterscheiden. Betrachtet man allein den Aspekt der Wissensrepräsentation, so bieten semantische Netze allgemein und somit auch Topic Maps eine pragmatische Möglichkeit der Ontologiebeschreibung („light ontologies“). Notwendige Voraussetzung ist hierfür, dass die zugrundeliegende Sprache neben einem Begriffskonzept auch semantische, typisierte Beziehungen kennt und die Formulierung von Wissen in verschiedenen Abstraktionsgraden (Meta-Ebenen) möglich macht. Ein erweiterter Ontologiebegriff schließt zudem die Definition von Regeln (Axiomen) innerhalb der Ontologiesprache ein („heavy ontologies“). Ziel dieser Axiomatik ist die selbständige Erweiterung der Ontologie um konkrete Sachverhalte durch logisches Schlussfolgern. Die „Ontology Web Language“ (OWL), die vom W3C standardisiert wird, fällt in diese Klasse der Semantic Web Sprachen.

Letztere sind dem Bereich der Künstlichen Intelligenz zuzuordnen und als solche sicher mehr eine Disziplin der Informatik denn der Informationswissenschaft. Aufbau und Pflege derartiger Ontologiesysteme stellen weitreichende Anforderungen an den Modellierer und erfordern Kenntnisse in Prädikatenlogik. Damit die Regelsysteme einwandfrei arbeiten, bedarf es schließlich einer hohen logischen Konsistenz, insbesondere einer Widerspruchsfreiheit. Dies erfordert die Ordnung in eindeutige, klassenorientierte Beschreibungen[2]. Dies ist wohlgemerkt mit der Realität nur selten in Einklang zu bringen. Weist doch die menschliche Sprache beliebige (kontext-bezogene!) Bedeutungsnuancen auf, die ja gerade wieder eine computer-gestützte Informationserschließung so schwierig gestalten.

Somit stellt insbesondere die Berücksichtigung von Kontext ein herausragendes Strukturmerkmal von semantischen Netzen dar, das eine Fülle neuer Anwendungen erschließt.

Einsatz von semantischen Netzen

Einige der wesentlichen Einsatzgebiete von semantischen Netzen sollen abschließend kurz vorgestellt werden.

Dokumentenmanagement

Das Dokumentenmanagement ist derzeit sicherlich das Kerneinsatzgebiet, zumal es sich nahtlos an den Einsatz von Thesauri in diesem Bereich anschließt. Wie in Abb. 3 dargestellt, können einzelne Begriffe dabei zu beliebig vielen Dokumenten verknüpft werden. Umgekehrt weist ein Dokument typischerweise auch Verknüpfungen zu mehreren Begriffen gleichzeitig auf. Aus Sicht der Dokumente stellt das Netz Meta-Daten über deren Inhalt zur Verfügung. Wie in einem Index verweist ein Begriff im Netz also auf mehrere zugehörige Ressourcen. Nützlicherweise sind die Meta-Daten selbst jedoch vernetzt und zeigen dem Anwender bereits während der Navigation an, dass neben dem aktuellen Begriff weitere Begriffe zu anderen Themengebieten führen. Über die Vernetzung liefert das semantische Netz somit nicht nur Informationen über den Inhalt eines Dokumentes sondern auch über den Kontext zwischen einzelnen Dokumenten. Semantische Netze bieten weitreichende Möglichkeiten, den Kontext von begrifflichen Verknüpfungen explizit zu beschreiben. Damit können dann Begrifflichkeiten, die in unterschiedlichen Geschäftsbereichen oder Anwendungsgebieten verschiedene Bedeutung haben, bereichsübergreifend verbindlich definiert werden.

Vergleichbar ist der Einsatz im Bereich von Bibliothekssystemen. Hier ist die Verwendung eines semantischen Netzes sogar umso nützlicher, weil in derartigen Systemen zum Teil eben keine elektronischen Dokumente gespeichert werden, die über Suchmaschinen gefunden werden können. Somit profitiert eine reine Buchbestandsverwaltung oder auch ein Medien-Archiv-System umso mehr von den Vorteilen einer kontext-basierten assoziativen Organisation von Meta-Daten auf Basis eines semantischen Netzes.

Abbildung 3: Meta-Beschreibung von Informationsressourcen mithilfe eines semantischen Netzes

Entscheidungsunterstützung

Darüber hinaus erschließen semantische Netze aber neue Möglichkeiten eines operativen Wissensmanagements, die über die reine Disposition von Information hinausgehen. Die Eigenschaft semantischer Netze Informationen zielgruppen-orientiert prägnant darzustellen, prädestiniert sie für den Einsatz als Mittel zur Entscheidungsunterstützung (Decision Support). Das oben beschriebene Vorgehen, auf der Meta-Ebene assoziative Zusammenhänge zu entwickeln, hilft übergeordnete Muster selbst in komplexen Strukturen herauszuarbeiten und Entscheidern effizienten Zugriff auf relevante Informationen zu gewähren.

Beschwerdemanagement

Die wirtschaftliche Notwendigkeit zu mehr Serviceorientierung zwingt mehr und mehr Unternehmen ein systematisches Beschwerdemanagement einzuführen. Datenbank-gestützte Systeme ohne semantische Intelligenz scheitern an der Anforderung, komplexe Inhalte zielgruppenorientiert zu filtern. Auch hier helfen semantische Netze wiederkehrende Anfragen effizient abzuarbeiten und diese systematisch und für den Support-Mitarbeiter nachvollziehbar zu archivieren.

Merger & Acquisition, dynamische Strukturierungsprozesse

Die Dynamik wirtschaftlicher Veränderungen, die sich im wieder zunehmenden Trend zu Merger & Acquisition, Verlagerungs- und Restrukturierungsprozessen niederschlägt, verlangt zusätzlich nach neuen Methoden den Lebenszyklus von Informationszusammenhängen zu managen. Semantische Modellierungstechniken sind prädestiniert dafür, komplexe Projekte strukturiert zu begleiten. Organisationsweite Wissensnetze helfen, die Sichten fusionierter Organisationen zu harmonisieren und zu vereinheitlichen und die in der Organisation versteckten Wissenspotenziale freizulegen.

Weitere Anwendungen in diesem Umfeld findet man im Bereich der Marktforschung, beispielsweise für eine teil-automatisierte Wettbewerbsbeobachtung.

Zukunftstrend „Knowledge Engineering“

Der beschriebene Trend vom klassischen Konzept des Thesaurus hin zu flexibel einsetzbaren semantischen Modellen ist Ausdruck der aktuellen Debatte um die Wissensgesellschaft. Sie hat zur Folge, dass auch zunehmend operative Computer-Anwendungen eine wissensbasierte Grundlage haben. Reines Software-Engineering im Sinne des Aufbaus datenbank-gestützter Anwendungen wird diesen Anforderungen nicht mehr gerecht. Stattdessen bedarf es eines grundlegenden Knowledge-Engineering, bei dem das hinter den operativen Anwendungen stehende Wissen (in Form elektronischer Information sowie impliziten Erfahrungs- und Organisationswissens) im Mittelpunkt steht.

Dies hat nicht zuletzt eine grundsätzliche wirtschafts- und gesellschaftspolitische Bedeutung: Ein systematisches Knowledge Engineering erfordert ein neues Berufsbild, das interdisziplinäre Qualifikationen aus den Bereichen der Sprachwissenschaft, Ingenieurswissenschaft bis hin zur Philosophie einer Renaissance zuführt. Dies eröffnet neue Chancen für die Wirtschaft und im speziellen Maße für den leider oftmals unterschätzten Beruf des Informationsspezialisten.


[1] ISO-Norm 13250 bzw. der XML-Standard „XML Topic Maps“ (XTM)

[2] Das heißt in der Praxis, dass gewisse Aussagen in einer derartigen Sprache nur dann formuliert werden können, wenn zuvor ein logisches Gerüst auf einer abstrakten Ebene definiert wurde, von denen konkrete Konzepte dann instanziiert werden. Dies entspricht jedoch nicht dem menschlichen Vorgehen bei der Wissensverarbeitung und ist in vielen Fällen nicht sinnvoll.

Quellen

[1] G. Probst, S. Raub, K. Romhardt, „Ressource Wissen – Wissensmanagement für die Unternehmenspraxis“, Frankfurter Allgemeine/Gabler, Frankfurt (Main)/Wiesbaden 1997.

[2] Dr. Heiko Beier, „Intelligente Informationsstrukturierung und TextMining mit Semantischen Netzen“, Beitrag zur 25. DGI-Online Tagung, Frankfurt (Main), 2003.

Kompetenzmanagement mit Semantischen Netzen

Ein Beitrag, den ich 2003 für eine Publikation der Frauhofer-Gesellschaft, verfasst habe.

Motivation des Beitrags

Auf die zunehmende wirtschaftliche Bedeutung der systematischen Nutzung von Expertenwissen ist im Kontext dieses Buches wiederholt eingegangen worden. Diese zunehmende Bedeutung korreliert jedoch auch mit einer fortschreitenden Komplexität des Wissens. Viele Unternehmen sehen sich daher dem Problem ausgesetzt, dass die Investition in Wissensmanagement für den mittelfristigen Unternehmenserfolg nicht nur immer notwendiger, sondern der Einstieg mit der Zeit auch immer schwieriger wird. Für das Wissensmanagement bedarf es daher heute umso mehr systematischer Ansätze, die das in den Unternehmen vorhandene Expertenwissen möglichst praxisnah und effizient zu nutzen verstehen.

Vom „Know What“ zum „Know How“

Eine besondere Schwierigkeit bei der Identifizierung von Expertenwissen liegt darin, dass die Person, die einen Informationsbedarf hat, diesen oftmals nur begrenzt spezifizieren kann. Denn gerade aufgrund eines beschränkten Einblicks in das betreffende Themengebiet benötigt er ja den Rat eines Experten. Mit anderen Worten: der Informationssuchende hat in der Regel eine Vorstellung davon was er sucht („know what“). Ein Experte jedoch hat nicht nur Kenntnis von einem Thema sondern Erfahrungen. Er hat entweder aufgrund praktischer Erfahrungen oder längerer theoretischer Beschäftigung mit einem Thema das Wissen erworben, wie er die in einem Fachgebiet auftretenden Fachbegriffe voneinander abzugrenzen hat, wo es Abhängigkeiten, Entwicklungen, Schwierigkeiten oder auch besondere Bedeutungen für die eigene Organisation gibt („know how“). Ein kurzes Beispiel aus dem Bereich der IT soll dies verdeutlichen:

Der Projektmanager eines Unternehmens hat einen konkreten Ressourcenbedarf innerhalb eines Projektes für das Thema XML identifiziert. Als Projektmanager, der organisationsweit die Durchführung von ein Dutzend Projekten verantwortet, ist XML ein Begriff, den er sicherlich des öfteren gehört hat. Mit Sicherheit ist er aber selbst kein Experte in diesem Gebiet. Ein XML-Experte weiß beispielsweise, dass XML ein Standard des World Wide Consortium (W3C) ist, dass XML die strukturierte Beschreibung von Informationen ermöglicht, deren Struktur entweder mittels einer DTD oder eines XML Schema definiert wird. Ein Experte hat sicherlich auch bereits praktisch mit XML gearbeitet, kennt verschiedene branchenspezifische Applikationen auf Basis von XML oder auch Tools, die bei der Arbeit mit XML hilfreich sind. Seine Erfahrungen hat er u.U. auch im praktischem Einsatz im Rahmen von Projekten gemacht. Er ist aufgrund seiner Erfahrungen somit auch in der Lage, den Einsatz von XML mit all seinen Vor- und Nachteilen zu bewerten.

Das bedeutet also, dass das systematische Identifizieren von Experten, zunächst einmal erfordert, dem Informationssuchenden Unterstützung bei der Formulierung seines Bedarfes zu geben. Der Projektmanager benötigt nicht Personen, die „wissen, was XML ist“, sondern für das Projektstaffing hat er einen ganz konkreten Bedarf, z.B. nach Experten, die bereits in mehreren Projekten XML in Kombinationen mit einem konkreten Tool für eine ganz spezifische Anwendung Erfahrung gesammelt haben. Damit diese Expertensuche erfolgreich sein kann, braucht der Projektmanager also Informationen, in welchen Projekten XML bereits zum Einsatz kam, welche Organisationseinheiten sich strategisch mit XML beschäftigen, welche Tools es in diesem Bereich gibt usw. Das heißt, für den Zugriff auf Expertenwissen müssen den suchenden Menschen

  1. fachliche Zusammenhänge erklärt und auf möglichst übersichtliche Weise transparent gemacht werden,
  2. die Einbettung von Expertenwissen in Organisations- und Projektstrukturen oder auch in etablierte Geschäftsprozesse aufgezeigt werden.

Nur wenn diese zwei Anforderungen erfüllt sind, kann es gelingen, Expertenwissen zu identifizieren und dieses Wissen systematisch für verschiedene Zwecke in der Organisation einzusetzen. Wenn dies nicht geschieht, drohen Experten letzten Endes Spezialisten zu bleiben, deren hohe Kompetenz nicht zur Wertschöpfung innerhalb des Unternehmens beiträgt.

Abb. 1: Semantische Netze bieten die Möglichkeit Themenzusammenhänge anschaulich aufzubereiten. Über flexible Sichten können Themen dabei auch eingebettet werden in einen organisationsspezifischen Kontext (Mitarbeiter, Projekte, Organisationseinheiten, Prozesse etc.).

Dieser Beitrag beschreibt, wie auf Basis des L4® Vorgehensmodells – einer auf die Anforderungen des Wissensmanagements optimierten Vorgehensmethodik – und mittels Unterstützung durch die L4-Tools, systematisch Expertenwissen strukturiert und transparent gemacht werden kann. Darauf aufbauend können dann Anwendungen implementiert werden, die die Teilung und Distribution von Wissen innerhalb der Organisation fördern.

Abb. 1 skizziert diesen Ansatz und symbolisiert graphisch das in L4 verwendete Konzept sog. semantischer Netze; begriffliche Zusammenhänge werden in einem Netz aus einzelnen Fachbegriffen inhaltlich beschrieben und sind über verschiedene kontext-bezogene Sichten zugänglich. Darüber wird dann neben der inhaltlichen Positionierung eines Begriffes gleichzeitig auch die Einordnung in bestehende Organisations- bzw. Projektstrukturen, ihre Bedeutung in verschiedenen Prozessen oder aber auch Verknüpfungen zu Mitarbeitern leicht ersichtlich.

Bevor dieser semantische Ansatz im Detail beschrieben wird, sollen aber zunächst noch die Anforderungen und Zielsetzungen formuliert werden, die mit dem Einsatz von Wissensmanagement-Lösungen verbunden sind. Bereits darüber wird offensichtlich, warum langfristig tragfähige IT-Lösungen zur Nutzung von Expertenwissen einer semantischen Technologiebasis bedürfen.

Anforderungen und Zielsetzungen – Berücksichtigung der Charakteristika menschlicher Denkprozesse

Wissensmanagement ist eine komplexe Aufgabe. Diese Komplexität liegt in der Natur des Menschen – bezeichnen wir mit Wissen doch ein ureigenes menschliches Phänomen. Die Fähigkeit des Menschen, seine Wahrnehmungen in fortschreitende Erkenntnisse umzusetzen, beruht auf den kognitiven Fähigkeiten des Gehirns sowie auf der menschlichen Sprache als Träger sämtlicher menschlicher Kommunikation. Das Phänomen Wissen lässt sich demnach nur dann adäquat in Prozessen abbilden und unterstützen, wenn die verwendeten Methodiken und Konzepte die wesentlichen Charakteristika menschlichen Wissens berücksichtigen – als da wären:

  • Subjektivität
    Was für den einen Menschen unverständliche Worte, sind für einen anderen u.U. Informationen von tiefgreifender Bedeutung. Ob eine Information als wertvoll empfunden wird, hängt von vielen Eigenschaften des Informationsempfängers ab. Bildung, Erfahrung, soziales Umfeld oder auch kulturelle Prägung sind einige wesentliche bestimmende Faktoren. Allgemein formuliert: Wissen ist stets subjektiv. Diese Subjektivität ist Folge eines Filterprozesses. Sie ist abhängig vom Kontext, in den die Information eingestellt wird.
  • Kontext
    Die Komplexität der Wirklichkeit wird durch Begriffe nur unscharf beschrieben. Die Bedeutung von Wörtern ist abhängig von dem aktuellen Bedeutungszusammenhang oder auch Interpretationshintergrund. Die oft nur implizite Verwendung eines Kontextes ist Ursache vieler Missverständnisse in der menschlichen Kommunikation. Dieser Hintergrund, der selbst wiederum begrifflich strukturiert ist, definiert den Kontext. Die begriffliche Struktur eines Kontextes führt uns unweigerlich zum Konzept der Sprache.
  • Sprache
    Zur Erschließung, Erweiterung und Austausch von Wissen bedienen sich Menschen der Sprache. Auch Computer bedienen sich einer wohldefinierten Sprache, um Informationen lesen und interpretieren zu können. Das Konzept einer Sprache, bestehend aus einer Menge von Regeln (der Grammatik) und einer Definition der Bedeutung einzelner Konstrukte der Sprache (der Semantik), ist damit auch Voraussetzung für alle Formen der IT-gestützten Wissensrepräsentation.
  • Dynamik
    Wissen ist inhärent dynamisch. Wissen besteht in der Fähigkeit, vorhandene Informationen zu vernetzen und neue Informationen zu erschließen. Das Erschließen neuer Informationen und Verstehen im Zusammenhang mit Vorhandenem erzeugt aber wiederum neues Wissen, das erneut weitere Möglichkeiten der Informationssammlung und -interpretation eröffnet.

Diese Charakteristika lassen sich unmittelbar aus der Physiologie des menschlichen Gehirns und seiner assoziativen Struktur ableiten. Menschen denken nicht in hierarchischen Strukturen, sondern assoziativ. Sie verknüpfen Informationen in immer wieder neuen Zusammenhängen – abhängig vom Kontext, sprich ihrem individuellen Erfahrungshintergrund sowie der aktuellen Situation oder dem Ziel ihres Handelns. Die Ergebnisse moderner Hirnphysiologie beweisen eindrücklich, dass Menschen nicht in Kategorien denken, sondern ausschließlich in assoziativen, durch wiederholte Wahrnehmung geprägten Mustern [1]. In dieser distributiven Ordnungsstruktur des menschlichen Gehirns gibt es kein klares „Oben“ und „Unten“, „Wichtig“ oder „Unwichtig“. Welche Zusammenhänge einem Menschen wichtig erscheinen oder welche er für unbedeutend hält, ergibt sich aus der Erfahrung des Menschen – dem Kontext eingeprägter Wahrnehmungen. Es ist genau dieser kontext-sensitive Charakter, der für den bedarfsgerechten Umgang des Menschen mit Informationen und daher auch für die erfolgreiche Implementierung von Wissensmanagement-Projekten elementar ist.

Anforderungen und Zielsetzungen – Wissensmanagement als integrative Maßnahme

Wissensmanagement-Projekte sollten zudem immer integrative Ziele haben. Nur in Ausnahmefällen beginnen derartige Projekte auf der sog. grünen Wiese, sondern im Regelfall liegen in einer Organisation Informationen und Wissen in diversen Quellen. Es hat sich als sinnvoll erwiesen, dabei die folgenden Quellen zu unterscheiden:

  1. Explizites Wissen: Informationen, die in irgendeiner Form aufgeschrieben oder codiert wurden. Hierbei unterscheidet man zwischen:
  • Unstrukturierten Informationen: sämtliche text-basierten Quellen wie Dokumentenarchive, Projektdokumentation, Patentschriften, Email – also sämtliche Formen elektronisch gespeicherter Texte.
  • Strukturierte Informationen: Informationen, bei denen der Informationswert im wesentlichen in einer Struktur liegt. Beispiele hierfür sind Dateiverzeichnis-Strukturen, Datenbank-Schemata, Navigationsstrukturen im Intranet aber auch modellierte Prozessbeschreibungen.
  1. Implizites Wissen: das „Know How“ in den Köpfen der Mitarbeiter. Exakterweise handelt es sich nur hier wirklich um Wissen.

Die Integration und systematische Verwendung aller dieser Quellen ist notwendiger Bestandteil, um Expertenwissen bedarfsgerecht verfügbar zu machen. Dabei spielt insbesondere das implizite Wissen eine herausragende Rolle. Um Wissen, das noch nicht expliziert formuliert wurde und somit nicht elektronisch verfügbar ist, mit IT-Systemen verteilbar und nutzbar zu machen, bedarf es selbstverständlich der Explizierung bzw. Strukturierung diesen Wissens. Um dieses Wissen jedoch für Menschen mit verschiedenen Anforderungen verständlich zugreifbar und gleichzeitig trotzdem langfristig erweiterbar, bedarf es flexibler Methoden der Strukturierung. Herkömmliche Ansätze der Informationsstrukturierung kommen hier an ihre Grenzen (vgl. [2]). Zur Abbildung von Expertenwissen deutlich aussagekräftiger ist die Modellierung von Wissen in semantischen Beziehungszusammenhängen. Dieses Konzept ist auch unter dem Fachbegriff „Ontologie“ bekannt.

Unter einer Ontologie versteht man  „eine von mehreren Anwendern geteilte explizite begriffliche Spezifikation eines Anwendungsbereiches“ [3]. Eine grundlegende Einführung in die Grundlagen von Ontologien zum Zwecke der Wissensrepräsentation führt an dieser Stelle zu weit. Im aktuellen Kontext ist es lediglich wichtig, Ontologien zu verstehen als eine Methodik, um Wissen formal auf Basis sprachlicher Zusammenhänge zu beschreiben, die sowohl für Menschen als auch für Computer verständlich sind. Zur Identifizierung von Expertenwissen kann man eine Ontologie als eine verdichtete inhaltliche Beschreibung wichtiger Zusammenhänge verstehen – oder mit anderen Worten als eine Wissenslandkarte. Durch die Projektion dieser Wissenslandkarten auf einzelne Mitarbeiter erhält diese die Funktion eines Wissens- bzw. Kompetenzprofils eines Mitarbeiters. Beim Aufbau der

Ontologie ist weniger die inhaltliche Tiefe von Bedeutung als vielmehr ein hohes Maß an inhaltlicher Vernetzung. Die Fähigkeit einer Ontologie, Menschen bei der Einordnung von Fachbegriffen in thematische aber auch organisatorische Zusammenhänge zu unterstützen, ist das entscheidende Kriterium, um Menschen systematisch den Zugang zu Expertenwissen zu ermöglichen. Die Ontologie selbst wird niemals Inhalte im Detail diskutieren. Vielmehr hilft die Ontologie bei der systematischen Erarbeitung des Wissensprofils, auf dessen Basis dann  nach kompetenten Mitarbeitern gesucht oder auch nach qualifizierten Dokumenten, die selbst wiederum Expertenwissen enthalten.

Nachdem nun die wesentlichen Anforderungen und Zielsetzungen abgesteckt sind, wird im folgenden beschrieben wie mittels des L4 Vorgehensmodells für ein IT-Unternehmen eine Anwendung implementiert wurde, die einen Zugriff auf Experten und das bei Ihnen angesiedelte Wissen selbst für fachfremde Mitarbeiter ermöglicht.

Umsetzung von Wissensmanagement-Projekten mit L4 Semantic NetWorking

Die folgende Fallstudie beschreibt exemplarisch ein Projekt, welches auf Basis des L4 Vorgehensmodells bei einem IT-Dienstleister durchgeführt wurde. Das Vorgehensmodell bietet dem Projektmanagement einen systematischen Leitfaden zur zielgerichteten Implementierung organisations-spezifischer Wissensmanagement-Anwendungen. Das Projekt wurde dabei in vier aufeinander folgenden Phasen gemäß Abb. 2 durchgeführt. In der Beschreibung des Ablaufs der einzelnen Schritte wird im folgenden sowohl Einblick in die konkrete Projektlösung als auch die grundsätzliche projektübergreifende Systematik von L4 gegeben.

Phase 1: Evaluation und Anwendungsspezifikation

Abb. 2: Das L4 Vorgehensmodell (vier Phasen bzw. Levels) zur organisationsspezifischen Umsetzung von Wissensmanagement-Projekten

In der initialen Phase wurde die Infrastruktur des Unternehmens im Hinblick auf die Wissensintensität einzelner Geschäftsbereiche und –prozesse, die Kompetenzprofile und Rollen einzelner Mitarbeiter sowie hins

ichtlich der bestehenden IT-Systeme analysiert. Ergebnis dieser ersten Phase war eine Anforderungsspezifikation der zu implementierenden Anwendung. Auf dieser Grundlage wurde dann ein KM-Team benannt, das sich sowohl aus Experten aber auch späteren Anwendern des Systems zusammensetzte. Zudem wurde auf Basis der Systemanalyse eine neue Systemarchitektur entworfen, bei dem die semantische Wissenslandkarte als Integrationsschicht über existierenden Informationsressourcen – im konkreten Fall verschiedene projektbezogene Fileserver sowie ein zentrales Dokumentenmanagement-System (DMS) – zum Einsatz kommt.

Phase 2: Analyse der Wissensprofile

Abb. 3: Die Analyse-Komponente des L4 Modeller. Diese unterstützt das Projektmanagement bei der inhaltlichen Abgrenzung der zu erstellenden Wissenslandkarte (Ontologie). Die Ergebnisse stehen unmittelbar für den Aufbau der Ontologie zur Verfügung.

Ein wichtiger Schritt bei der Erstellung vernetzter Wissensprofile ist eine saubere inhaltliche Abgrenzung der relevanten Themen. Die Analyse hat hierbei zwei Aufgaben: sowohl fachlich die Inhalte zu definieren, die in der Wissenslandkarte aufgenommen werden als auch die Kompetenzträger, bei denen das Wissen vorliegt, in ihren Rollen zu benennen. Unter Kompetenzträgern werden dabei sowohl Menschen (Experten) als auch qualifizierte Informationsarchive, in denen explizites Expertenwissen gespeichert ist, verstanden. Die Bedeutung einer thematischen Abgrenzung ist vielleicht am einfachsten über die Analogie zur „Landkarte“ zu verstehen. Vor der eigentlichen Erstellung der Landkarte müssen sowohl die zu kartographierende Region als auch der Abbildungsmaßstab definiert sein. Nur dann können effiziente Messungen der Basisdaten durchgeführt werden, die eine benutzerfreundliche und der Spezifikation gemäße Anfertigung der Landkarte ermöglichen. Ebenso bedarf es für der Anfertigung einer Wissenslandkarte einer vorherigen Festlegung auf die inhaltliche Tiefe sowie den Umfang der in der Ontologie beschriebenen Wissenszusammenhängen.

L4 unterstützt diese Analysephase auf zweierlei Weise: einerseits kann über die Analysekomponente des L4 Modeller eine systematische Kartographierung der zu behandelnden Themenbereiche erfolgen, in der auch die Beiträge von Experten sowie der Informationsbedarf von Mitarbeitern dargestellt wird. Abb. 3 zeigt eine graphische Skizze der relevanten Themenkomplexe für den Anwendungsbereich „Kompetenzen im Bereich der Softwareentwicklung“. Angrenzende Themenfelder wie Qualitätssicherung oder Projektmanagement sind ebenfalls Teil der Wissenslandkarte. Zudem wurden die Rollen der beteiligten Wissensarbeiter skizziert; der Software-Entwickler beispielsweise besitzt Kompetenzen zum gleichnamigen Thema (d.h. er tritt als Wissensquelle auf) in bezug auf das Projektmanagement hat er jedoch eher Informationsbedarf (Wissenssenke).

Mittels der Methode der Kompetenzfragen [1] werden die Themenbereiche nun inhaltlich erschlossen. Durch das Stellen von Fragen wird hierbei der Wissensbedarf formuliert. Dies hat sich als eine sehr effiziente Weise erwiesen, Zusammenhänge zwischen Themen  begrifflich zu fassen.

Alternativ erlaubt die L4-Plattform auch über die Funktionalität des L4 Indexer mittels intelligenter TextMining-Verfahren begriffliche Zusammenhänge automatisch aus vorhandenen Dokumentenquellen zu extrahieren. Im vorliegenden Fall wurde diese Methode erst in der Designphase eingesetzt.

Abb. 4: Die Designkomponente des L4 Modeller. Beziehungszusammenhänge werden auf einer graphischen Oberfläche in beliebigen Meta-Ebenen modelliert.

Phase 3: Modellierung von Wissensprofilen in semantischen Wissenslandkarten

Nachdem der inhaltliche Rahmen der Wissenslandkarte abgesteckt wurde, wird nun über die Design-Komponente des L4 Modellerdie computer-prozessierbare Ontologie erstellt. Der L4 Modeller ermöglicht, dass diese fachlich anspruchsvolle Arbeit von Fachexperten vorgenommen werden kann. Der Aufbau der Ontologie erfolgt auf einer graphischen Oberfläche, auf der in einer Art Baukastenprinzip Begriffe über Beziehungen zu Aussagen verbunden werden. Die in der Analyse erfassten Themen und Kompetenzen stehen dabei unmittelbar zur Verfügung. In vielen Fällen empfiehlt es sich, dass die Modellierung von verschiedenen Experten parallel vorgenommen wird. Für die Verständlichkeit der Ontologie wichtig ist jedoch, dass diese sich dabei der gleichen Begrifflichkeit bedienen. D.h. sie verwenden beispielsweise immer den einen Begriff „Programmiersprache“. Der Experte beschreibt in der Wissenslandkarte nun sein Wissen über Tools zu konkreten Sprachen, der andere das über Anwendungen, die in diesen Sprachen entwickelt wurden. Abb. 4 zeigt

einen Ausschnitt aus der modellierten Ontologie. Hier wurde auf der Meta-Ebene formuliert, wie Technologien in Zusammenhang mit Mitarbeitern, Projekten und Organisationsstrukturen stehen (vgl. Abb. 1). Die konkreten Aussagen zu verschiedenen Technologien werden später auf Basis dieser sprachlichen Zusammenhängen beschrieben und können darüber übersichtlich und strukturiert von Anwendern abgefragt werden.

Bei der Modellierung der konkreten Themen wurde konsequent der L4 Indexer eingesetzt. Der L4 Indexer erlaubt die assoziative Suche über verteilte Informationsquellen. Dabei werden dokumentenübergreifend begriffliche Zusammenhänge automatisch erkannt und dem Modellierer während der Erstellung der Ontologie angezeigt. Z.B. liefert der Indexer zu dem Stichwort „XML“ weitere im Kontext auftretende Begriffe wie „DTD“ oder „W3C“. Den Experten obliegt die Aufgabe, diese neu eingefügten Begriffe in einen qualifizierten Zusammenhang zu bringen, z.B. über die Beziehung „W3C – standardisiert – XML“. Der L4 Indexer stellt auch im operativen Betrieb durch regelmäßiges Überprüfen der Dokumentenquellen sicher, dass neue Themen von Relevanz in die Ontologie mit aufgenommen werden. Zudem gewährleistet dieser TextMining-Ansatz, dass die Ontologie direkt Begriffe verwendet, die auch in den Dokumenten vorkommen. Dies sichert eine hohe begriffliche Konsistenz und optimiert die Effizienz von Suchanfragen, die Anwender mittels der Ontologie formulieren können.

Abb. 5: Visualisierung der Wissenslandkarte (Ontologie). Die Beziehungen zwischen Begriffen können bei Bedarf eingeblendet werden. Zu beliebigen Begriffen kann jeweils eine Suche nach weiteren Begriffen, weiterführenden Dokumenten und auch nach Personen erfolgen.

Phase 4: Implementierung der KM-Anwendung auf Basis des L4 NetWorker

Im operativen Betrieb dient die modellierte Ontologie nun als semantische Integrationsschicht zur Suche in Informationsquellen und zur Identifizierung von Experten zu den in der Ontologie genannten Themen. Anwender können über den Browser-Client des L4-NetWorkerdie Wissenslandkarte navigieren. Der große Vorteil dieser vernetzten Navigation ist, dass der Anwender eine sehr konkrete Unterstützung erhält seinen

Informationsbedarf zu konkretisieren. Kommen wir zurück zu dem bereits bei der Problemstellung skizzierten Beispiel eines Projektmanagers, der Experten im Bereich XML sucht. Abb. 5 zeigt einen Ausschnitt aus der Wissenslandkarte mit dem Fokus auf XML. Der Projektmanager erhält weiterführende Informationen zu dem Thema in Form von Begriffen, die etwas mit XMLzu tun

Abb. 6: Ergebnis der Expertensuche zum Thema XML auf Basis des automatischen Profilmatching über den L4 Indexer

haben. Dabei lernt er auch, dass im Projekt INKASSA die Sprache XML Schema verwendet wurde, die eine Methode zur Festlegung der Struktur von XML ist (erklärende Beziehung in der Abb. ausgeblendet). Der Projektmanager möchte nach Mitarbeitern suchen, die sich mit den dargestellten Themen beschäftigen und startet die semantische Suche nach Personen. Diese Suche erfolgt dynamisch über den L4 Indexer, der in den Dokumenten nach den dargestellten Begriffen in konfigurierbarer Tiefe sucht und über die Autorenschaft des Dokumentes automatisch eine Beziehung zu der entsprechenden Person herstellt (Ergebnis s. Abb. 6). Die Namen aller Mitarbeiter sind ebenfalls Teil der Ontologie. Sie werden direkt mit einem bestehenden Verzeichnis synchronisiert. Im konkreten Fall erfolgte die Einstellung der Dokumente über ein DMS. Dieses hält zu Dokumenten diverse Meta-Daten, insbesondere das Meta-Datum Autor, welches für dieses Profilmatching verwendet wird.

Hier ist die operative Unterstützung eines DMS von großer Hilfe. Falls wichtige Projektdokumente nur auf einem Fileserver gespeichert werden, können zwar ebenfalls Meta-Daten erfasst werden, z.B. über die Dokumenteigenschaften von Office-Dokumenten. Es bedarf jedoch einer Disziplinierung der Mitarbeiter, dass diese auch tatsächlich gepflegt werden. Ein DMS automatisiert diesen Prozess in der Regel

Erfahrungsgemäß steigt die Anwenderakzeptanz von Computeranwendungen mit der einfachen Bedienung, vor allem aber auch dem Wert der abrufbaren Informationen. Für Wissensmanagementanwendungen wurde bereits einführend darauf hingewiesen, dass die Dynamik des Wissens unbedingt zu berücksichtigen ist. Das L4 Vorgehensmodell ist daher bewusst iterativ angelegt. Eine Ontologie entwickelt sich mit der Zeit. Über den L4 Indexer wird sichergestellt, dass neue Themen automatisch erkannt werden und vom Wissensredakteur in die Ontologie aufgenommen werden. Wenn komplett neue Themenbereiche mit aufgenommen werden sollen (wie in diesem Falle z.B. der Bereich Qualitätssicherung), empfiehlt sich sogar erneut bei der Analyse zu beginnen und daraufhin die Ontologie fort zu entwickeln. Solange man innerhalb bestehender Themenbereiche bleibt, besteht auch die Möglichkeit, einer größeren Anzahl an Mitarbeitern die Berechtigung  zu geben über einen Webbrowser neue Themen in die Ontologie einzupflegen. Dabei empfiehlt sich, nur begrenzte Berechtigungen zu geben und beispielsweise Meta-Strukturen (vgl. Abb. 2) nur durch verantwortlich erklärte Redakteure modifizieren zu lassen.

 Fazit

Die Strukturierung von Wissensprofilen in semantischen Netzen bzw. Ontologien hilft bei der Erschließung wichtiger Themenzusammenhänge und hilft Menschen bei der exakteren Formulierung ihres Wissensbedarfes. Die im Rahmen dieser Fallstudie vorgestellte Methodik und KM-Plattform L4® Semantic NetWorking erlaubt einen zielgerichteten Aufbau einer aussagekräftigen und langfristig wartbaren Wissenslandkarte. Diese erlaubt Anwendern Wissen in seinen Vernetzungen zu erkennen und darüber gezielt nach Experten und weiterführenden Informationen zu suchen. Die Integration intelligenter TextMining-Verfahren stellt die zeitnahe Aktualisierung der Wissenslandkarte sicher und erlaubt eine automatisierte Identifizierung von Kompetenzträgern. Über die Aufbereitung der Wissenslandkarten in projekt-spezifischen oder geschäftsprozess-orientierten Sichten werden darüber hinaus wichtige Wissenszusammenhänge in der Organisation transparent und nachvollziehbar für alle Mitarbeiter zur Verfügung gestellt.

Welt im Wandel: Wissen tut Not

original Fachartikel aus der Fachzeitschrift BIT

Fachartikel für die BIT von Februar 2005.

Abstract

Vor dem Hintergrund komplexer Veränderungsprozesse erweist sich eine effektive und hochqualitative Informationsvermittlung zunehmend als eine Kernaufgabe des Managements. Von entscheidender Bedeutung ist dabei eine gezielte Aufbereitung in der Art, dass Informationen einheitlich über verschiedene Ebenen und Organisationsbereiche kommuniziert werden, ohne dass sie verwässert oder in ihrer Bedeutung verändert werden. Das Praxisbeispiel aus dem Personalmanagement eines Finanzkonzerns zeigt, wie auf der Grundlage einer vernetzten, begrifflichen (semantischen) Strukturierung von Information ein Führungsinstrument entsteht, bei dem die Intention der Führungsebene effektiv in alle Zielgruppen hinein kommuniziert wird. Als Antwort auf die zunehmende Komplexität globaler Wirtschaftssysteme bieten moderne Wissensmanagement-Lösungen dieser Art neue Chancen bei der effektiven Umsetzung komplexer Planungsvorhaben innerhalb des operativen Geschäftes.

Welt im Wandel

Die Finanzwirtschaft des 21. Jahrhunderts ist geprägt von komplexen und dynamischen Umstrukturierungsprozessen: Merger & Acquisitions als Antwort auf globalen Wettbewerbs- und Kostendruck, Geschäftsprozessoptimierung, Reorganisation und Verlagerung von Kompetenzen und Zuständigkeiten zur Schaffung schlanker, effizienter Organisationen. Führungskräfte in Unternehmen der Finanzindustrie sehen sich damit ganz anderen Anforderungen ausgesetzt als in vorherigen Jahrzehnten, in denen die Dynamik der Unternehmensentwicklung deutlich geringer war und viele Unternehmen auf der Grundlage organisch gewachsener Geschäftsmodelle operierten.

In allen Bereichen unternehmerischer Praxis lässt sich somit eine rasante Zunahme der Komplexität beobachten. Sie ist eine Folge der real zunehmenden Vernetzung der Wirtschaft bei zugleich weiter wachsender Dynamik. Gleichzeitig aber auch eine Folge der Entwicklung der Informationstechnologie, die dazu führt, dass Informationen immer und überall und zu jedem möglichen Thema verfügbar sind.

Information kann elektronisch beliebig häufig reproduziert und schnell verteilt werden, was zunächst einmal nur zu einer Senkung der Kosten für die Vervielfältigung der Information führt. Eine Email zu versenden ist deutlich kostengünstiger als einen Brief zu versenden. Es führt nicht zur Erhöhung der Informationsqualität. Ganz im Gegenteil: die Allgegenwart des Computers an modernen, wissensintensiven Arbeitsplätzen führt vielmehr zu einer Flut von Informationen, mit deren Bewältigung die Mitarbeiter häufig allein gelassen werden. Dokumente werden kopiert, verändert, mehrfach abgelegt – und letztlich die Bedeutung der ursprünglichen Information immer weiter verändert, ohne dass dieser Prozess in irgendeiner Weise reproduzierbar wäre. Suchmaschinen sind in diesem Punkt keine Hilfe, denn sie verbessern zunächst einmal nur die Verfügbarkeit oder Auffindbarkeit von Informationen, keinesfalls jedoch deren Qualität. Und als Instrument zur Steuerung eines wissensintensiven Unternehmens eignen sie sich zuallerletzt; 1000 oder mehr Treffer auf einen Suchbegriff können keine klare Antwort sein.

Wissensarbeiter und insbesondere Führungskräfte leiden daher kaum mehr unter einem Mangel an Information, sondern vielmehr an einem “Zuviel” an Information. Ob Fileserver, Email-Accounts, Dokumentenmanagement-Systeme oder das Internet: überall ist Information auf einen Klick verfügbar. Doch welche Information ist in welcher Situation für welche Zielgruppe die richtige, und wo ist diese zu finden? Angesichts der schieren Informationsmenge fehlt zunehmend die Kenntnis über die wichtigen Zusammenhänge, die Voraussetzung sind, um Informationen zielgerichtet als Entscheidungsgrundlage heranzuziehen. Nur über eine Steigerung der Qualität von Informationen kann es gelingen, die Effektivität von Informationen innerhalb operativer Prozesse zu steigern.

Abbildung 1: Das Dilemma des "Information Overflow": Mit der zunehmenden Menge an (elektronisch) verfügbarer Information kommt der Mensch an die Grenze seiner Kapazität zur Informationsverarbeitung. Um Informationen effektiv verwenden zu können, bedarf es statt dessen weniger, dafür aber qualitativ hochwertiger Informationen.

Während sich also fast sämtliche Unternehmensbereiche auf die geänderten Rahmenbedingungen einer globalen, vernetzten Wirtschaft eingestellt haben, wird mit Informationen im Kern noch genauso verfahren wie vor 100 Jahren. Die Frage drängt sich auf: Wie gelingt es, die Qualität von Information durchgängig zu sichern und Mitarbeitern ein einheitliches, an den Zielen des Unternehmens ausgerichtetes und dennoch ihren individuellen Anforderungen entsprechendes Verständnis zu vermitteln?

Wissen tut Not – Von Quantität zur Qualität

Angesichts der allgegenwärtigen Informationsflut ist es daher entscheidend, die Qualität vorhandener Informationen zu verbessern, um einen optimierten Austausch von Wissen und eine effiziente interne wie externe Kommunikation zu ermöglichen. Dabei gilt es sich zunächst einmal der zentralen Bedeutung der Ressource “Wissen” für die Wertschöpfungskraft von Unternehmen bewusst zu werden. Letztlich ist es das “Mehr an Wissen”, das Finanzunternehmen im Wettbewerb qualifiziert und sich beispielsweise in Form innovativer Anlageprodukte niederschlägt. Selbst die Einführung standardisierter und somit effizienter Prozesse beruht auf Wissen – Wissen über die Organisation, seine Arbeitsweise und strategischen Ziele.

Neben der Weiterentwicklung von Wissen liegt eine Hauptaufgabe von Wissensmanagement zunächst einmal in der optimalen Nutzung vorhandenen Wissens zur Erzielung von Kosten- und Wettbewerbsvorteilen. Im Mittelpunkt steht dabei die Qualifizierung vorhandener Wissensressourcen über die Vernetzung von Informationen im Kontext organisationsspezifischer Ziele und Prozesse. Darüber wird die Bedeutung einzelner Informationen für die Organisation im ganzen und den einzelnen Menschen in seiner jeweiligen Rolle einheitlich wiederholbar und klar erkennbar.

Aus Sicht des Managements ist es somit von entscheidender Bedeutung, zentrales Wissen über Strategien und Märkte in einer Weise verfügbar zu haben, dass es nicht nur effektiv weiterentwickelt werden kann, sondern vor allem durchgängig in sämtlichen relevanten Organisationsbereichen, die für die operative Umsetzung im Tagesgeschäft verantwortlich sind, genutzt wird. Dies erfordert von den Mitarbeitern die Fähigkeit, einzelne Informationen in Beziehung zu setzen zu übergeordneten Zusammenhängen, wie Strategien, Grundsätzen oder Unternehmenszielen. Ohne die Einsicht in die Bedeutung von Informationen, die in operativen Prozessen relevant sind, verliert die ursprüngliche Intention des Managements aus der Projektplanung- oder Strategieentwicklungsphase entscheidend an Wert und Effektivität (vgl. Abb. 2). Die strategische Vorgabe eines Unternehmens, die Kundenorientierung zu stärken, hat in der Folge etliche, in verschiedenen Organisationsbereichen und Hierarchieebenen sehr unterschiedliche Implikationen. Mit anderen Worten: es gilt, die Bedeutung des Konzeptes Kundenorientierung für konkrete Organisationsbereiche einheitlich und klar festzulegen und dementsprechend Maßnahmen zu implementieren (z.B. durch die Entwicklung flexibler Anlageprodukte oder persönliche Beratungskonzepte im Kundenservice).

Eine klare und eindeutige Informationsversorgung ist damit eine Kernaufgabe des Managements. Wo Menschen einander verstehen und einsehen können, wie sie zu einem übergeordneten Unternehmensziel beitragen, entstehen konstruktive Leistungen und effiziente Arbeit. Führung beruht letztlich auf der gezielten Vermittlung von Informationen – sowohl auf der obersten Ebene der Unternehmensleitung wie auch in allen anderen Führungsebenen zwischen Mitarbeitern und deren Führungskräften. Sie erfordert eine eindeutige Kommunikation und die Konzentration auf das Wesentliche. Ein effektiver Informationsfluss bedeutet auch, dass die wesentlichen Ziele der Unternehmensleitung in konkrete Aufgaben und persönliche Ziele von Mitarbeitern innerhalb sämtlicher Hierarchiestufen heruntergebrochen werden. Dies gewährleistet, dass die Intention der Führung mit hoher Effektivität den Mitarbeiter erreicht und sich das Unternehmen zielgemäß entwickelt.

Abbildung 2: Führung erfordert Kommunikation. Diese wird jedoch durch zahlreiche Faktoren erschwert. Neben der stetig steigenden Menge der zu verarbeitenden Information führen dynamische Rahmenbedingungen und ein unterschiedliches Verständnis von Konzepten zu einem Verlust des Werts von Informationen.

Beides wird jedoch in vielen Organisationen erschwert durch die Dynamik sowohl der inneren Strukturen wie auch der externen Randbedingungen. Umso mehr benötigen Mitarbeiter Orientierung und Führung, um innerhalb ihrer konkreten Tätigkeitsbereiche effektiv – an den Zielen des Unternehmens ausgerichtet – zu handeln. Dies gilt in besonderem Maße für wissensintensive Arbeiten, die sich nicht über wiederkehrende Abläufe oder Prozesse standardisieren lassen, sondern deren Wert auch auf der Entscheidungsfreiheit des Wissensarbeiters beruht. Erfahrungen und die Kenntnis unternehmensinterner Zusammenhänge sind hier ein ganz wesentlicher bestimmender Faktor für die Qualität der Arbeit. Dabei erlangt die Erhöhung der innerbetrieblichen Informationsqualität sowie die Optimierung des Informationsflusses eine ganz entscheidende Bedeutung.

Wissen tut Not – Von Quantität zur Qualität – Semantik als Schlüssel zu wertvollen Informationen

Der Schlüssel zur Optimierung der Informationsqualität – und damit auch für ein wirksames Wissensmanagement – liegt in der sinnhaften Vernetzung von Informationen. Damit ist gemeint, dass Informationen für Menschen erst dann einen Wert erhalten, wenn sie die Bedeutung der einzelnen Informationen innerhalb einer konkreter Situationen erkennen können.

Genau hier setzen semantische Technologien für das Wissensmanagement an. Die Semantik (aus dem griechischen, Wortbedeutungslehre) erlaubt den entscheidenen Schritt von der Information zum Wissen. Letzteres steht immer in einem spezifischen Handlungskontext. Wissen ergibt sich aus einem situations-spezifischen Muster von Informationen, das Menschen zu sinnvollen Handlungen befähigt.

Semantische Technologien stehen nicht nur im Mittelpunkt führender Forschungsprojekte, sondern haben u.a. mit dem Standard der Topic Maps auf pragmatische Weise Einzug in die industrielle Praxis des Wissensmanagements erhalten. Topic Maps sind ein XML-basierter Standard für die computer-basierte Speicherung und den Austausch von Informationszusammenhängen. Eine Topic Map stellt ein sog. semantisches Netz – oder auch Wissensnetz – dar. Hierunter versteht man „eine geordnete Zusammenstellung von Begriffen und deren Bezeichnungen, deren Zusammenhang über beliebige Beziehungen miteinander definiert wird. Sowohl Begriffe als auch Beziehungen sind typisierbar und es existiert eine Grammatik für deren Verwendung“ [Bei04].

Abbildung 3: Mittels Semantik können Informationen innerhalb von Geschäftsprozessschritten (GPS) anforderungsgerecht bereitgestellt werden. Innerhalb des eigentlichen Wissensprozesses (WP) helfen semantische Netze organisations- und fachspezifische Zusammenhänge zu sichern und Menschen bei der Einschätzung relevanter Informationen zu unterstützen.

Topic Maps erlauben ein sehr flexibles, anforderungsspezifisches Management von Informationen. Sie beinhalten Konzepte wie Thesauri und Taxonomien [Bei04], bieten jedoch zusätzlich die Möglichkeit explizit den Kontext von Informationen abzubilden und in operativen Anwendungen zu berücksichtigen.

Letztlich ist es der kontext-spezifische Zusammenhang, in dem Begriffe strukturiert werden, der die Qualität und Effektivität von Informationen maßgeblich bestimmt. Entscheidend ist dabei nun, dass ein Konzept wie „Kundenorientierung“ als solches nur einmal existiert und zunächst von oben her als Ziel vorgegeben wird. Da es jedoch nicht nur auf Papier sondern in einem konsistenten software-gestützten Repository hinterlegt ist, kann das Konzept immer wieder aufgegriffen und in seiner Bedeutung in konkreten Situationen erläutert werden. Dies erfolgt wiederum über die Vernetzung mit anderen hinterlegten Konzepten. So wird gewährleistet, dass Information einheitlich und standardisiert verwendet wird, jederzeit reproduzierbar ist und durchgängig – zwischen Führungskräften und Mitarbeitern oder über verschiedene Unternehmensbereiche hinweg – verfügbar ist.

Hierarchische Strukturierungsmethoden wie Taxonomien oder auch “MindMapping” scheitern an dieser Stelle, da sie Information nur nach ein-dimensionalen – eben hierarchischen – Ordnungskriterien zu strukturieren vermögen. Wissensnetze organisieren Information in vernetzten Zusammenhängen. Der Ansatz orientiert sich dabei an menschlichen Denkprozessen, in denen es ebenfalls keinen zentralen Einstiegspunkt gibt, kein klares “oben und unten”, sondern der Mensch erschließt sich neue Erkenntnisse aus verschiedenen Blickwinkeln – immer geprägt aus der aktuellen Situation seines Denkens und Handelns heraus [Sin]. Führungskräfte erfahren somit eine neue Dimension der Unterstützung in ihrer eigentlichen Aufgabe: nämlich den Blick für das Ganze zu entwickeln [Mal].

Für das operative Wissensmanagement stellen Wissensnetze zunächst nur ein neues, wenn auch sehr mächtiges Werkzeug dar. Ihr Wert lässt sich erst bemessen, wenn auf der Grundlage von Topic Maps bereichs- oder organisationsspezifische Zusammenhänge abgebildet und in konkreten Anwendungen zum Einsatz kommen. Über eine entsprechende Modellierung lassen sich somit beispielsweise Lösungen implementieren, die das Konzept einer Balanced Scorecard aufgreifen und ein Unternehmen in verschiedenen Sichtweisen beschreiben. Die Lösung geht jedoch weiter als das Konzept der Balanced Scorecard, da über Wissensnetze Informationen aus vorhandenen Systemen  integriert [Bei02] und anforderungsgerecht innerhalb konkreter Prozesse zur Verfügung gestellt werden. In dieser Form sind sie also weniger als Kennzahlen-Controlling-Instrument für die Führungsebene gedacht, sondern vielmehr als Steuerungsinstrument, mit dem die Sichtweise des Managements effektiv innerhalb operativer Prozesse transparent gemacht wird und darüber Mitarbeiter effektiv führt.

Entsprechende Tools vorausgesetzt, lassen sich wiederkehrende Bedeutungszusammenhänge sehr pragmatisch in Topic Maps festhalten und zur Optimierung der Informationsversorgung in operativen Geschäftsprozessen einsetzen. Denn Aufbau und Pflege der Topic Maps ist keine Aufgabe des IT-Engineering, sondern kann mittels graphischer Modellierungstools von Fachexperten geleistet werden. Wissensnetze sind daher ideal geeignet, ein Business Alignment zwischen den in existierenden IT-Systemen vorhandenen Informationen und der operativen Geschäftsperspektive herzustellen.

Dies erfordert allerdings auch, Wissensmanagement als organisatorische Notwendigkeit zu erkennen und organisatorisch die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen. Nämlich in der Form, dass Menschen in ausgewiesenen Rollen die Aufgabe übernehmen, die Komplexität von Informationen darüber zu managen, dass sie relevante wiederkehrende Zusammenhänge erkennen, begrifflich qualifizieren und in semantischen Strukturen sichern. Die Ernüchterung auf den frühen Trend des Wissensmanagements der 90er Jahre liegt vor allem in der Technologielastigkeit der Lösungsansätze, die einen kurzfristigen ROI dank vollständiger Automatisierung versprachen. Diesem Anspruch ist jedoch keine Technologie bis heute gerecht geworden. Wissensmanagement ist und bleibt zuallererst eine Disziplin des Managements, d.h. eines geordneten und geführten Prozesses mit dem Ziel die Wertschöpfung von Wissen zu steigern. Informationen sind stets nur dann von Wert, wenn sie in organisationsspezifische Bedeutungszusammenhänge eingebettet sind – und als solche auch von Menschen erkannt werden.

Wissen tut Not – Von Quantität zur Qualität – Vom Prozessmanagement zum Wissensmanagement

Viele Abläufe sind heutzutage standardisiert in Form von Geschäftsprozessen. Insbesondere in wissensintensiven Branchen, wie dem Finanzsektor, in dem Information und das Wissen, wie diese zu bewerten ist, die entscheidende Ressource darstellt, nimmt jedoch der Mensch weiterhin und auch in Zukunft eine entscheidende Stellung innerhalb von Geschäftsprozessen ein. Denn zur Durchführung von Geschäftsprozessen muss in den meisten Fällen auf Wissen zurückgegriffen werden. Innerhalb dieser Prozesse existieren also eigenständige Prozesse, die ausschließlich mit der Verarbeitung von Wissen zusammenhängen. In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll von Wissensprozessen zu sprechen. Dazu zählen beispielsweise das Lernen, das Generieren von Innovationen aber auch das Entscheiden. Wissensprozesse können durch einen Menschen alleine, aber auch kollektiv zwischen vielen Menschen, ja sogar organisationsweit statt finden.

Wissensprozesse sind im Gegensatz zu Geschäftsprozessen aber nur bedingt standardisierbar. Sie steuern jedoch entscheidend den Verlauf von Geschäftsprozessen (vgl. Abb. 3). Daher ist die Bereitstellung von Informationen im Kontext von Geschäftsprozessen,  d.h. das Erkennen der Bedeutung von Informationen für Qualität und Verlauf eines Prozesses essentiell. Wissensmanagement geht daher weiter als das Management von Geschäftsprozessen, wird aber sinnvollerweise innerhalb von Geschäftsprozessen praktiziert. Einführungsmodelle von Wissensmanagement beinhalten daher auch immer die Analyse vorhandener wie auch implizit gelebter Geschäftsprozesse. Für den Bereich der Semantik heißt das: in der Analyse und des Designs der semantischen Netze ist auch die Semantik eines Prozesses eine relevante Sicht im Netz.

Einführungskonzepte von Wissensmanagementlösungen sollten daher auch immer die Analyse vorhandener Geschäftsprozesse wie auch noch nicht standardisierter, aber dennoch häufig wiederkehrender Abläufe enthalten. Das Wissensnetz kann dann in einer Weise aufgebaut werden, dass es die für das Verständnis dieser Abläufe notwendigen Informationszusammenhänge bedarfsgerecht zur Verfügung stellen kann. Dies soll nun anhand eines Praxisbeispiels aus dem Querschnittsbereich Personal erläutert werden.

Best Practice Beispiel – Personalmanagement in einem Finanzkonzern

Die Situation des betrachteten Unternehmens steht prototypisch für die Lage vieler Unternehmen der Finanzindustrie. Der große öffentlich-rechtliche Konzern weist eine lange Tradition auf. Innerhalb der letzten Jahre ist das Unternehmen durch die Integration verschiedener Unternehmen stark gewachsen und besteht heute aus mehr als 13 Einzelunternehmen innerhalb einer von starken Beteiligungsverflechtungen geprägten Holdingstruktur.

Die Unternehmensführung ist sich bewusst, dass der angestrebte Integrationsprozess durch ein „einheitliches Grundverständnis von Führung und Zusammenarbeit“ in Gang gesetzt und dauerhaft gefördert werden muss. Eine entscheidende strategische Rolle kommt hierbei dem Querschnittsbereich „Personal“ zu. Dort werden die Grundsätze des innerbetrieblichen Umgangs miteinander definiert und über die begleitenden Prozesse der Mitarbeiterrekrutierung, -betreuung und –entwicklung in der Praxis geprägt. Umso mehr ist also in diesem Bereich eine Vereinheitlichung der Personalarbeit auf der Grundlage eines gemeinsamen Verständnisses erforderlich. Trotz vergleichsweise flacher Organisationsstrukturen gestaltet sich dieses Vorhaben in der Praxis jedoch als schwierig, da die integrierten Unternehmen nicht nur andere Kulturen in den Konzern einbringen, sondern auch unterschiedliche Praktiken und Regelungen bezüglich der Personalarbeit besitzen. Ein Begriff wie Altersteilzeit kann beispielsweise sehr unterschiedlich ausgelegt werden, gibt es doch diverse Möglichkeiten, Altersteilzeitmodelle in der Praxis umzusetzen. Solange jedoch derart zentrale Begriffe nicht einheitlich definiert sind, kann eine reibungslose Integration der Einzelunternehmen nicht erfolgen. Dabei scheitert es nicht an der Bereitschaft der neuen Mitarbeiter als vielmehr an missverständlicher Kommunikation, deren Auswirkungen erst in der Folge spürbar werden – nämlich wenn Handlungen je nach Standort und Unternehmen nicht einheitlich durchgeführt werden und zu vermeidbaren Aufwänden in Form von Rückläufen oder Wartezeiten führen.

Abbildung 4: Screenshot der im Text beschriebenen Personalmanagement-Lösung. Web-basierte Oberflächen werden über ein semantisches Wissensnetz gesteuert und helfen Mitarbeitern dank klar strukturierter Zusammenhänge in der Menge an Informationen relevante Querbezüge zu erkennen und die in spezifischen Handlungssituationen relevanten Dokumente zu erhalten.

Auf der Grundlage von Analysen vorhandener Informationsquellen wie u.a. eines Personalhandbuches und der Befragung ausgewählter Führungskräfte, konnte innerhalb eines vergleichsweise kurzen Zeitraums ein durchgängiges, über ein zentrales Wissensnetz gesteuertes Informationssystem aufgebaut werden. Hierüber erhält jeder berechtigte Mitarbeiter, zu jeder Zeit, unabhängig von seinem Standort, zum Zeitpunkt, zu dem er die Information benötigt, die richtige Information und deren Zusammenhänge. So wird eindeutig kommuniziert, wann z.B. der Vorgang der Leistungsbeurteilung durchgeführt werden muss, welche Voraussetzungen dafür bestehen müssen und welche übergeordneten Ziele bei der Beurteilung zu berücksichtigen sind. Relevante Dokumente in Form von Antragsformularen oder Führungskräfteinformationen zum Thema oder auch vertiefende Sitzungsprotokolle werden innerhalb des Interessenpfades des Anwenders beim Gang durch das Wissensnetz automatisch eingeblendet.

Nutzenbetrachtung

Durch das System wird die Führungsebene von redundanten Anfragen entlastet und kann sich auf andere wichtige Aufgaben wie die Personalentwicklung konzentrieren. Neben fachlichen Auskünften schafft das System gleichzeitig Klarheit über die Aufbauorganisation der gesamten Holding und seiner Einzelunternehmen, deren Kenntnis für die effiziente Umsetzung personalwirtschaftlicher Prozesse unabdingbar sind. Vor dem Hintergrund neuer Firmenakquisitionen erhält das System damit einen erweiterten Nutzen aus strategischer und planerischer Hinsicht: neue Unternehmen und Standorte werden auf der Grundlage der bestehenden Strukturen des Wissensnetzes analysiert und ihre Verankerung im Konzern kontrolliert über das Wissensnetz dokumentiert. Der Führungsebene im Bereich Personal wird somit ein effektives Werkzeug an die Hand gegeben, strategische Vorgaben im operativen Tagesgeschäft zu verankern.

Einer der wichtigsten weiteren Nutzeneffekte im Bereich des Personals liegt darin begründet, dass in Zukunft eine effizientere und standort-übergreifend einheitlichere Mitarbeiterbetreuung erfolgt. Ungleichheiten zwischen den Standorten werden sukzessive minimiert, was positive Effekte für die Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter zur Folge hat. Und letztlich über die Verringerung der Mitarbeiterfluktuation klare Kosteneinsparungen zu erzielen hilft.

Des weiteren ermöglicht diese Form der Kommunikation eine kosteneffiziente Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern. Da das Wissensnetz nicht nur thematische Zusammenhänge, sondern auch deren individuelle Bedeutung innerhalb der Organisation aufzeigt, lernen insbesondere neue Mitarbeiter sehr viel schneller effektiv im Sinne der Organisation zu handeln. Und dies ohne kostspielige Präsenzseminare, sondern durch ein tätigkeitsbegleitendes stetiges Lernen, bei dem die Lerninhalte sehr effektiv auf die Erfordernisse des Mitarbeiters ausgerichtet sind.

Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass der gewählte Ansatz eine gegenüber anderen Methoden der Informationsaufbereitung und –verteilung deutlich höhere Umsetzungsgeschwindigkeit aufweist. Gegenüber der Pflege des Wissensnetzes erweist sich die fortwährende Anpassung eines Personalhandbuches als deutlich aufwändiger – bei gleichzeitig deutlichen Qualitätsvorteilen durch die vernetzte Informationsstrukturierung. Die Ursache hierfür findet sich erneut in den erwähnten Vorteilen einer vernetzten begrifflichen Strukturierung: der Redakteur wird von der Aufgabe befreit, sämtliche Implikationen inhaltlicher Änderungen manuell nachzuverfolgen und in einem abgeschlossenen Text redaktionell aufzubereiten. Die Konzentration auf wenige, relevante Kernzusammenhänge, deren Vernetzung von einem Werkzeug kontrolliert wird, erlaubt eine schnelle Umsetzung redaktioneller Änderungen, die über das Wissensnetz unmittelbar, einheitlich und dennoch kontext-spezifisch an die Betroffenen publiziert werden.

Best Practice Beispiel – Merger & Acquisition als organisatorischer Veränderungsprozess

Der Schwerpunkt der beschriebenen Lösung liegt auf der Vereinheitlichung und Steigerung der Effektivität der operativen Personalarbeit. Die Notwendigkeit für eine derartige Wissensmanagementlösung resultierte dabei allerdings aus der Komplexität und den tiefgreifenden Folgen, die durch organisatorische Veränderungsprozesse hervorgerufen wurden. Genau hier liegt auch eine entscheidende Stärke des beschriebenen Ansatzes, da er durchgängig umfangreiche Planungsprozesse begleiten und umsetzen hilft. Insbesondere die Finanzindustrie muss sich auf veränderte Zielsetzungen und Rahmenbedingungen – sei es in Folge von M&A-Maßnahmen oder auch dynamischer Wachstums- oder Outsourcingprozesse – flexibel einstellen.

Über ein Wissensnetz lassen sich M&A-Projekte ideal begleiten. Dies umfasst sämtliche Phasen von der Analyse der bestehenden Primärkompetenzen über das zielgerichtete Screening des Marktes bis hin zur Integration der fusionierten Unternehmensbereiche in Einklang mit den ursprünglichen Zielen. Dabei kann das für die Planung und Durchführung der Transaktion notwendige Wissen im Zusammenhang strukturiert und in standardisierter Form einheitlich wiederholbar gemacht werden. Kompetenzen, Organisationsbereiche und Geschäftsfelder werden im Zusammenhang mit den übergeordneten Zielsetzungen strukturiert und machen Entscheidern in jeder Phase – von der Bewertung von Unternehmen bis hin zur späteren Integration fusionierter Unternehmensbereiche – die Bedeutung einzelner Aspekte des Mergers bewusst. Darüber entwickelt sich im Laufe des M&A-Projektes eine semantische Struktur, die in der finalen Integrationsphase wiederverwendet werden kann, um heterogene Informationssysteme in den verbundenen Unternehmen zusammen zu führen. Unterschiedliche Begriffswelten können über ein Wissensnetz aufeinander „gemappt“ werden und geben Mitarbeitern innerhalb konkreter Prozesse ein einheitliches Verständnis der alten wie der neuen Firmenwelt, d.h. sie verdeutlichen die Bedeutung des Mergers für die einzelnen Organisationsbereiche.

Dies gewährleistet die effektive Erreichung der mit dem Merger verbundenen Ziele, da das bereits in der Planung anfallende Wissen gesichert und unmittelbar für die Durchführung der Integrationsmaßnahmen genutzt werden kann.

Schlussbetrachtung

In vergleichbarer Form können Wissensnetze auch zur Optimierung wissensintensiver Vertriebsprozesse eingesetzt werden. An allen Stellen, an denen Menschen auf der

Grundlage komplexer Zusammenhänge operativ handeln und sich dabei von dem Wissen anderer wie auch den Vorgaben der Führungsebene leiten lassen sollten, eröffnet Wissensmanagement unmittelbares Potenzial.

So verstanden ist Wissensmanagement angesichts der zunehmenden Komplexität eine organisatorische Notwendigkeit. Es hilft Wirkungszusammenhänge zu erkennen und gezielt zu berücksichtigen. Es unterstützt bei der durchgängigen wert-erhaltenden Umsetzung strategischer Planungen in operative Prozesse und vermittelt basierend auf einer einheitlichen Terminologie ein gemeinsames Verständnis.

In der konkreten Umsetzung sind die positiven Auswirkungen eines Wissensnetzes dabei je nach Einsatzbereich sehr individuell: von der Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit oder eine an den Unternehmenszielen ausgerichtete Kompetenzentwicklung (Personal) über eine Qualitätsverbesserung integrativer M&A-Maßnahmen (Unternehmensentwicklung) bis hin zur Steigerung des Umsatzes durch die Unterstützung komplexer Beratungsprozesse im Bereich der Altersvorsorge (Vertrieb).

Immer jedoch bleibt Wissensmanagement als moderne Managementdisziplin eine Aufgabe, die ein bewusstes Eingreifen und Steuern des Menschen erfordert. Angesichts der zunehmenden Komplexität wird Wissensmanagement richtig angewendet damit mehr als eine organisatorische Notwendigkeit, sondern eröffnet neue Chancen für eine optimale Unternehmensentwicklung durch den kostensparenden und umsatzsteigernden Einsatz der wichtigsten Ressource des 21. Jahrhunderts: Wissen.

Mit assoziativ verknüpften Daten zu lebendigem Wissensmanagement (Teil 3)

Original Fachartikel aus der Fachzeitschrift DoQ

Hier nun nach Teil 1 und Teil 2 der dritte und letzte Teil der Reihe „Mit assoziativ verknüpften Daten zu lebendigem Wissensmanagement“ aus dem Fachmagazin „DoQ“.

Teil 3: Arbeitstitel „Wissen erfahrbar machen“

In diesem Teil unserer Artikelserie erfahren Sie, wie Semantische Netze für ein bedarfsgerechtes Wissensmanagement genutzt werden können.

„Mit diesem Problem muss sich hier doch schon mal jemand auseinander gesetzt haben!“ – Herr P. ist neu in ein Unternehmen eingetreten. Als Experte im Bereich Java-basierter Anwendungsarchitekturen war er für seinen neuen Arbeitgeber die ideale Besetzung. Doch trotz seiner fachlichen Expertise steht Herr P. momentan etwas auf dem Schlauch. Sein Problem ist weniger technisch, sondern liegt in der konkreten fachlichen Anwendung.

Herr P. hat lange Jahre in der Medienbranche gearbeitet, sein neuer Arbeitgeber dagegen entwickelt Lösungen für Finanzdienstleister. Herrn P. fehlt nicht nur das Wissen über spezielle Anforderungen, die aus fachlicher Hinsicht an seine gegenwärtige Aufgabe gestellt werden, sondern auch der Einblick, wen er in welchem Bereich des Unternehmens um Rat fragen könnte.

Vernetztes Projektwissen

Herr P. ist sicherlich kein Einzelfall: Projekt-basierte Strukturen haben sich in vielen Bereichen etabliert. Die Projektorganisation erlaubt begrenzte Ressourcen möglichst effizient und zielgerichtet bei stark variierenden Rahmenbedingungen einzusetzen. In der Folge stellt diese Art der Organisation allerdings jedes einzelne Teammitglied vor weitaus komplexere Anforderungen als ein Arbeiten in fest etablierten Strukturen und Abteilungen: die Bereitschaft zu permanentem Lernen und Einarbeiten in neue Themenfelder sowie das Kennenlernen neuer Kollegen ist quasi Bedingung für jeden einzelnen.

Das einleitende Beispiel zeigt, dass es oft nicht ausreicht, Spezialwissen zu einem Gebiet anzuhäufen. Wissen entwickelt sich immer dynamischer. Das Verständnis für angrenzende Themenbereiche oder das Wissen, wo, von wem und wie innerhalb einer Organisation wichtiges Wissen vorliegt, ist von entscheidender Bedeutung.

Semantische Netze zur Abbildung vernetzten Wissens

Doch wie kann sich Herr P. als „Nicht-Wissender“ in derartig komplexe Wissensstrukturen einarbeiten? Die „alten Hasen“ haben dieses Wissen in jahrelanger Praxis und Zugehörigkeit zur Organisation erworben.

Die bereits in den ersten zwei Teilen dieser Artikelserie vorgestellte Technologie der Semantische Netze ist ideal geeignet, Menschen aus verschiedensten Bereichen und unterschiedlichem Wissensstand Zugang zu projekt-bezogenem Wissen zu ermöglichen. Semantische Netze (SN) erlauben Wissen kontext-orientiert und in seinen Beziehungszusammenhängen verständlich zu machen. Für projekt-bezogene Wissensarbeit illustriert die nebenstehende Abbildung, wie nicht nur wichtige Themenzusammenhänge, sondern auch deren Einbettung in Projekt- und Organisationsstrukturen explizit gemacht wird und den Zugang zu wichtigen Informationsressourcen ermöglicht. So weisen Begriffe aus dem Bereich „Produkte“ erklärende Verknüpfungen in den Bereich der „Projekte“ („In welchen Projekten werden welche Produkte eingesetzt?“) oder auch zu einzelnen Personen auf („Wer ist Experte für ein spezielles Produkt?“).

Bei der Navigation durch das Netz erfährt Herr P. an jedem Knotenpunkt wichtige Beziehungen zu anderen Begriffen. So findet er z.B. zügig, welcher Mitarbeiter an einem bestimmten Projekt teilgenommen hat, welches sich mit einer ähnlichen Thematik auseinandergesetzt hat wie sein eigenes. Über das Netz findet Herr P.auch die Kontaktdaten seines Ansprechpartners. Gleichzeitig bietet ihm das System automatisch verschiedene Dokumente an, die sich mit den Themen auseinandersetzen, die Herr P. auf seinem Weg durch das Netz berührt hat.

Abbildung 1: Skizze eines semantischen Netzes zur Veranschaulichung relevanter Beziehungen in Projekt-orientierten Organisationen. Das Netz verknüpft Begriffe aus verschiedenen Bereichen (Personen nehmen teil an Projekten, Projekte verwenden Produkte und sind aufgehängt in Organisationseinheiten etc.) Darüber ein konkretes Beispiel für die interaktive Navigation durch das unten skizzierte semantische Netz im Internetbrowser. Der Anwender betrachtet die Verknüpfungen der Person „Dr. Hans Bauer“ zu Projekten, Produkten und seiner Rolle innerhalb der Organisation.

Vorgehensmodell zur bedarfsgerechten Erstellung semantischer Netze

Auch bei einem semantischen Wissensmanagement-Projekt ist ein methodisch sorgfältiges Vorgehen wichtig.

Die Vorgehenssystematik dient dazu, die spezifischen Anforderungen einer Organisation optimal zu berücksichtigen. So ist sinnvollerweise – ähnlich wie in der Entwicklung von Softwaresystemen – eine Analyse der Anforderungen und des Benutzerkreises der eigentlichen Erstellung des SN voraus zu stellen. Daraus ergibt sich dann, welche Wissensbereiche in das SN aufgenommen werden.

In der in der Abbildung gezeigten Anwendung wurden vier Bereiche als besonders wichtig erachtet. Weitere Analysen betreffen die Evaluierung des geschäftsrelevanten Wissens (Welches Wissen ist für das Unternehmen strategisch wichtig und sollte auf möglichst viele Mitarbeiter verteilt werden?), der wichtigen Wissensprozesse (Wie fließt Wissen durch verschiedene Bereiche, bspw. innerhalb von Prozessen?) oder auch der Organisationsstrukturen sowie des IT-Umfeldes. Letzterem kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu. Denn SN eignen sich hervorragend zur Integration bestehender Informationsressourcen und Anwendungssysteme (s.u.).

Begriffliche Spezifikation und Design des Wissensmodells

In einer nächsten Phase werden dann gemeinsam mit Fachexperten und Anwendern die wichtigsten Begriffe innerhalb der ausgewählten Bereiche bzw. Prozesse definiert. Dafür haben sich Workshops bewährt, in denen Fragen zu den ausgewählten Bereichen gestellt werden.

Mit dieser Methode lassen sich sehr zügig die Begriffe finden, die als Hauptknoten im SN fungieren. Wenn eine qualifizierte Dokumentenbasis zu einzelnen Wissensbereichen vorliegt, so lassen sich unter Verwendung von TextMining-Verfahren auch gezielt weitere relevante Begriffe im Umkreis der Hauptknoten automatisch selektieren und einfach in die Begriffsbasis überführen.

Beim Design des semantischen Netzes sollte ebenfalls eine einheitliche Methodik verfolgt werden. Ähnlich wie auch beim Verfassen eines Textdokumentes eine klare Gliederung die Lesbarkeit und spätere Anpassung des Textes fördert, sollten auch beim Aufbau eines SN zunächst die Basisstrukturen möglichst allgemein formuliert werden. Diese können dann im zweiten Schritt für verschiedene konkrete Projekte wiederverwendet werden.

Das in der Abbildung skizzierte SN enthält also auf der obersten Ebene grundlegende Zusammenhänge, welche den Aufbau einer Organisation und Projektstrukturen beschreiben, oder auch Angaben, wie Produkte zu klassifizieren sind. Diese Basisstruktur, die oftmals auch mit Tools zur Erstellung semantischer Netze mitgeliefert wird, konnte dann einfach verwendet werden, um für das Unternehmen von Herrn P. konkrete Zusammenhänge zu beschreiben.

Iteratives Vorgehen

Flexibilität ist eine große Stärke von semantischen Netzen. In der Tat ist ein iteratives Vorgehen bei der Erstellung semantischer Netze nicht nur ein gewünschtes sondern sogar das natürlichste Vorgehen. Ähnlich wie der Mensch sein Wissen dynamisch an immer neue Anforderungen anpasst und neue Wissensbereiche erschließt, lassen sich auch SN sukzessive erweitern, ohne dass damit eine Reorganisation bereits bestehender Strukturen einher gehen muss.

Das Netz kann einfach mit neuen Wissensbereichen erweitert werden. Dazu müssen die neu eingefügten Begriffe lediglich über entsprechende Beziehungen zu bereits existierenden Begriffen verknüpft werden. So kann z.B. die in der Abbildung gezeigte Struktur um den Bereich „Kunden“ erweitert werden. Dort werden Kundenbeziehungen und konkrete Kunden eingeführt, die mit Begriffen aus den Bereichen „Produkte“ und „Projekte“ verknüpft werden.

Der Aufwand zur Pflege semantischer Netze ist prinzipiell nicht höher als bei hierarchischen Informationsstrukturen. Zwar ist die Zahl der Strukturelemente aufgrund des Beziehungsreichtums des Netzes größer, aber diese können flexibler angepasst werden. Nicht von ungefähr werden Verzeichnisse in großen Organisationen meist pro Abteilung getrennt aufgebaut und verwaltet. Eine Zusammenführung oder gemeinsame Nutzung ist oftmals aufgrund der heterogenen Begriffsstrukturen kaum möglich. Im semantischen Netz kann dagegen Geschäftswissen bereichsübergreifend modelliert und – bei Bedarf auch unter Berücksichtigung einer Berechtigungsrichtlinie – unternehmensweit verfügbar gemacht werden.

 Integration heterogener IT-Strukturen

Im letzten Schritt des KM-Projektes wird das semantische Netz mit bestehenden Informationsressourcen verknüpft. Während semantische Netze in konzeptioneller Hinsicht ein Basisinstrument zur Repräsentation von Wissen sind, so erfüllen sie in technologischer Hinsicht vor allem eine integrative Funktion.

Auf Seiten der Anwender bieten sie einen einheitlichen semantischen Zugang zu verschiedenen Informationsressourcen und -archiven. Menschen wird mit dem Semantischen Netz eine Struktur geboten, in der sie sich selbständig und ihrem persönlichen Interessenprofil entsprechend bewegen können. Hinter den Knoten und Kanten des Netzes sind dann die eigentlichen Inhalte hinterlegt. Ob die Daten in einem DMS, einer Datenbank oder auf einem Fileserver liegen, muss der Anwender nicht mehr wissen.

Das semantische Netz bietet ihm Zugriff auf Informationen in verschiedensten Systemen. Diese müssen auch nicht mehr statisch zugeordnet werden, wie beispielsweise die Dokumente in einer hierarchischen Verzeichnisstruktur. Dank intelligenter, ebenfalls Netzstrukturen erkennender TextMining-Technologien können Wissensquellen dynamisch den Begriffen im semantischen Netz zugeordnet werden.

Hinter dem Begriff „Projekt KnowIT“ finden sich so automatisch Ressourcen wieder, welche relevante Informationen zu diesem Projekt enthalten.

Das Netz selbst bietet damit den zusätzlichen Nutzen, eine verbindliche begriffliche Basis für Suchanfragen zur Verfügung zu stellen. Wer kennt nicht das Problem, interessante Dokumente nur deshalb nicht zu finden, weil bei der Suchanfrage Wörter verwendet wurden, die zwar thematisch richtig sind, aber nicht exakt den in den Dokumenten vorkommenden Begriffen entsprechen? Das semantische Netz dagegen ermöglicht auf einfache Weise, seine Suchanfrage zu spezifizieren, indem die im Netz definierten Begriffe sowie deren thematisches Umfeld in beliebiger Tiefe für die Suche verwendet werden.

Als integrativer Ansatz verlangen Projekte auf Basis semantischer Netze keine Ablösung der bestehenden operativen Systeme. Etablierte Workflows, wie beispielsweise das Einstellen von Dokumenten in ein DMS oder in das Intra- bzw. Internet bleiben – falls gewünscht – erhalten und die Funktionen eines DMS werden weiterhin genutzt. Das SN bietet auf die oben skizzierte Weise vor allem einen einheitlichen Zugang zu verschiedensten Arten und Quellen von Geschäftswissen. Die im SN modellierten Strukturen helfen Menschen einfacher an individuell relevante Informationen heranzukommen und wichtige Wissensquellen aufzuspüren. SN stellen damit eine bedeutende Erweiterung bestehender DM- oder CM-Systeme in Richtung Wissensmanagement dar.

Fazit

Wissensmanagement erfordert neben den Basisfunktionalitäten der Erfassung und Sicherung von Wissensquellen vor allem eine einfache, auch verschiedenen Anwendergruppen einsichtige Möglichkeit zur Erschließung von Wissen. Semantische Netze ermöglichen dies, indem sie Beziehungen zwischen einzelnen Informationen nachvollziehbar machen. Durch die Einbeziehung des organisatorischen Kontextes (Organisationsbereiche, Projektstrukturen, Mitarbeiter etc.) in das SN, bleiben Informationen zudem nicht weiter thematisch isoliert, sondern werden zu wirklichem handlungsrelevanten Wissen.

Die Technologie Semantischer Netze hat sich aus der akademischen Forschung emanzipiert und dank entsprechender unternehmensweit einsetzbarer Tools zu einer zukunftssichernden Investition entwickelt. Unter Verwendung etablierter Standards wie XML bieten semantische Strukturen eine größtmögliche Flexibilität bei der Integration verteilter Wissensressourcen und helfen, das volle Potenzial des wissens-basierten Unternehmens zu erschließen.

Mit assoziativ verknüpften Daten zu lebendigem Wissensmanagement (Teil 2)

original Fachartikel aus der Fachzeitschrift DoQ

anbei die Fortsetzung des Teil 1 des Fachartikels im DoQ-Magazin von 2002.

Teil 2: „Informationen semantisch vernetzen“

In diesem Teil unserer Artikelreihe erfahren Sie, welche herausragenden Möglichkeiten Semantische Netze für die Organisation von Informationen bieten. Dank ihrer Ausdrucksstärke machen sie unternehmensweite Wissensstrukturen für Menschen transparent. Dank des zugrundliegenden XML-Formates erlauben Sie die Ressourcen-unabhängige Speicherung von Wissen und deren Verwendung in verschiedenen Projekten und Anwendungen.

Frau S. ist neue Mitarbeiterin im Bereich Private Banking eines internationalen Finanzunternehmens. Aufgrund des Bedarfs eines ihrer Klienten muss sie sich vertieft mit den Unterschieden der Steuersysteme einzelner Staaten auseinandersetzen. Glücklicherweise hat Frau S. über das Intranet Zugriff auf eine umfassende Wissensbasis zu allen Fragen der Vermögensverwaltung. Über den zentralen Begriff der Kapitalertragssteuer steigt sie in das System ein. Zu diesem Begriff existieren 237 verschiedene Dokumente. Zu viele um sie alle zu studieren. Das System erlaubt ihr jedoch, ihre Suche zielgerichtet zu konkretisieren. So erhält sie auf einen Blick die Information, welche verschiedenen Arten von Kapitalertragssteuern es gibt und in welchen Ländern sie jeweils existieren. Die jeweiligen Begriffe weisen entsprechende Verknüpfungen auf, die in beliebigen Richtungen navigierbar sind. Frau S. sieht daher sehr schnell, in welchen Ländern es eine Quellensteuer gibt, umgekehrt aber auch, welche Arten von Kapitalertragssteuern beispielsweise in Südafrika erhoben werden. Zu den jeweiligen Ländern erhält sie weitere Informationen wie z.B. über die politische Stabilität des Landes, die sie für eine Investitionsentscheidung ebenfalls in ihre Überlegungen mit einbezieht. Frau S. überträgt während der Navigation durch das Informationsnetz die für sie relevanten Begriffe in eine Suchmaske. Über diese erhält sie direkten Zugriff auf alle Dokumente, die sich mit den jeweiligen Themen auseinandersetzen. Auf diese Weise findet Frau S. sehr schnell Unterstützung bei der Auswahl konkreter Investmentstrategien für ihren Kunden.

Semantische Netze

Die Informationsstruktur, die Frau S. zur Recherche verwendet, stellt ein sog. Semantisches Netz dar. Ein Semantisches Netz (SN) besteht aus einzelnen Begriffen, deren Bedeutung (à Semantik) über ihre netzartige Verknüpfung mit anderen Begriffen explizit gemacht wird. Ein SN bietet flexible Möglichkeiten zur Informationsstrukturierung, welche die prinzipiellen Nachteile der im ersten Teil dieses Artikels beschriebenen Methoden (ein-dimensoniale Strukturierung sowie Trennung von Struktur und Inhalt) überwindet:

  1. Semantische Netze erlauben eine qualifizierte Verknüpfung von Begriffen jenseits strenger hierarchischer Beziehungen. Sie stellen Begriffe explizit in kontextabhängige Zusammenhänge. Das in Abb. 1 symbolisierte Semantische Netz enthält zahlreiche Verknüpfungen zwischen Begriffen (dargestellt als rote Kugeln). Dabei wird unterschieden zwischen Spezialisierungsbeziehungen (blaue Linien) wie z.B. Quellensteuer – ist eine Spezialisierung von – Kapitalertragssteuer und semantischen Beziehungen. Letztere sind in der Abb. über graue Linien mit Ellipsen verknüpft, wobei die Ellipsen die Art der Verknüpfung semantisch qualifizieren. Dadurch können auch komplexe Zusammenhänge wie bspw. Zinssenkung – fördert – Investitionsbereitschaft ausgedrückt werden.
  2. Semantische Netze definieren eine aussagekräftige Informationsstruktur, die bereits für sich einen Wert besitzt. Da sie losgelöst von zugeordneten Informationsressourcen definiert werden, können sie auch flexibel  für verschiedene Anwendungszwecke angepasst und projekt-übergreifend verwendet werden.

Semantische Strukturierung von Informationsressourcen mittels eines Semantischen Netzes

Weitere Eigenschaften semantischer Netze im Vergleich mit herkömmlichen Methoden der Informationsstrukturierung sind in Tab. 1 zusammengefasst.

Vernetzter Meta-Daten-Index für Dokumente

Eine besondere Bedeutung erhalten SN in Ihrer Verwendung für das Dokumentenmanagement. In dem einführenden Beispiel hatten wir bereits gesehen, wie Frau S. mittels des SN über Themengebiete navigiert und über die für sie interessanten Begriffe auch zu weiterführenden Dokumenten gelangt. Wie in Abb. 1 dargestellt, können einzelne Begriffe dabei zu beliebig vielen Dokumenten verknüpft werden. Umgekehrt weist ein Dokument typischerweise auch Verknüpfungen zu mehreren Begriffen gleichzeitig auf. Aus Sicht der Dokumente stellt das SN Meta-Daten über deren Inhalt zur Verfügung. Wie in einem Index verweist ein Begriff im SN also auf mehrere zugehörige Ressourcen. Nützlicherweise sind die Meta-Daten selbst jedoch vernetzt und zeigen dem Anwender an, dass neben dem aktuellen Begriff weitere Begriffe zu anderen Themengebieten führen. Dieses Konzept ist vergleichbar dem Index eines Buches, der neben den alphabetisch sortierten Einträgen unter „siehe auch“ verwandte Begriffe aufführt (Kapitalertragssteuer….S. 27, 46, 198, s.a. à Quellensteuer, Spekulationssteuer).

Kontext-abhängige Verknüpfungen

Über die Vernetzung liefert das SN somit nicht nur Informationen über den Inhalt eines Dokumentes sondern auch über den Kontext zwischen einzelnen Dokumenten.

SN bieten weitreichende Möglichkeiten, den Kontext von begrifflichen Verknüpfungen explizit zu beschreiben. Damit können dann Begrifflichkeiten, die in unterschiedlichen Geschäftsbereichen oder Anwendungsgebieten verschiedene Bedeutung haben, bereichsübergreifend verbindlich definiert werden.

Während z.B. aus Sicht des Klienten von Frau S. eine wesentliche Eigenschaft der Dividende über die Verknüpfung „à unterliegt à  Zinsabschlagssteuer“ ausgedrückt wird, gelten aus Sicht der die Dividende zahlenden Aktiengesellschaft andere Verknüpfungen (z.B. „à unterliegt à Körperschaftssteuer“).

SN sind damit hervorragend geeignet, Themenbereiche kontext-übergreifend zu beschreiben. Sie erlauben zuvor isolierte Informationsinseln in einem Unternehmen transparent zu vernetzen und für Personen verschiedener Bereichszugehörigkeit zugänglich zu machen.

Neue Anforderungen an Software

Mittels geeigneter Tools sind semantische Netze auf einfache Weise zu erstellen. Moderne Entwicklungswerkzeuge erlauben auch Anwendern ohne Programmierkenntnisse das Netz zu weben, indem sie auf einer graphischen Oberfläche wichtige Begriffe mit der Maus verknüpfen. Die assoziative Verknüpfung, die je nach Kontext einen Begriff mit einem anderen in Beziehung setzt ist dabei sehr intuitiv, entspricht es doch der Art und Weise wie Menschen assoziativ Gedanken aneinander reihen.

Das Reduzieren von Themenzusammenhänge auf hierarchische Strukturen ist dagegen eher unnatürlich und oftmals für Menschen nur schwer nachvollziehbar. Ganz entscheidend für die Akzeptanz semantischer Netze ist dabei allerdings wie entsprechende Software den Zugriff und die Navigation in einem semantischen Netz darstellt.

In einem Netz gibt es naturgemäß mehr Verknüpfungen zwischen einzelnen Begriffen als in einer eindimensionalen Taxonomie. Software-Systeme müssen den Anwendern daher Möglichkeiten an die Hand geben, subjektiv nicht relevante Informationen auszublenden und möglichst übersichtlich für sie interessante Verknüpfungen zu finden.

Kontext-abhängige Verknüpfungen wie im obigen Beispiel der Dividende eignen sich hier besonders. So gibt es bereits Systeme, die dem Anwender erlauben, sein Profil so einzustellen, dass er beispielsweise als Investor nur die Verknüpfungen mit Zinsabschlagssteuer sieht und die Informationen aus Sicht der Aktiengesellschaft ausgeblendet werden.

Die Darstellung semantischer Netze kann dabei sowohl graphisch als auch in dynamischen HTML-Seiten erfolgen. Erstere vermögen noch intuitiver den assoziativen Charakter der Informationsverknüpfungen wiedergeben, stoßen aber als noch neuer Ansatz nicht bei allen Anwendern auf Akzeptanz.

Wiederverwendung dank XML und modularem Aufbau

Im Endeffekt wird ein semantisches Netz immer in einer Datenbank oder auch direkt in einem XML-Repository gespeichert werden.

Mit dem Resource Description Framework (RDF) und den Topic Maps haben sich bereits zwei XML-basierte Standardsprachen für die Beschreibung von Semantischen Netzen etabliert. SN bauen also auf etablierten Technologien auf und werden damit zu einer investitionssicheren Zukunftsstrategie.

Aus finanzieller Hinsicht besonders interessant ist, dass das im SN gespeicherte Wissen nicht nur für einen Zweck zur Verfügung steht, sondern nach entsprechender Analyse einfach ausgebaut und projektübergreifend wieder verwendet werden kann. Insbesondere für Beratungsunternehmen ergeben sich damit vollkommen neue Möglichkeiten, die eigene Fachexpertise systematisch und unabhängiger von einzelnen Personen ihren Kunden anbieten zu können. Moderne Entwicklungsumgebungen bieten für die Pflege semantischer Netze bereits heute umfangreiche Unterstützung. So können SN in einzelnen Projekten von mehreren Experten parallel betreut und Wissen aus anderen Bereichen in bestehende Netze importiert und eingepflegt werden.

Als XML-basierte Technologie können SN auch Informationen aus vorhandenen Ressourcen importieren, so dass der Aufbau eines SN nicht vollständig manuell erfolgen muss. Selbst im Bereich des TextMining, also dem Erkennen begrifflicher Muster innerhalb von Texten, gibt es inzwischen Produkte, die den zielgerichteten Aufbau des SN unterstützen.

Vielfältige Einsatzmöglichkeiten: Von Dokumentenmanagement bis Application Integration

Mit Semantischen Netzen steht inzwischen eine Technologie zur Verfügung, die es Unternehmen erlaubt, ihr essentielles Wissen an zentraler Stelle zu managen und für verschiedenste Anwendungen einzusetzen.

So beschränkt sich ihre Verwendung nicht auf das Management von Dokumenten, wo sie große Dokumentenbestände übersichtlicher strukturieren (sei es in der direkten Verknüpfung mit den Dokumenten, oder aber auch als zusätzliche Navigationsoberfläche über bestehenden DM-Systemen).

In unserem einleitenden Beispiel könnte das SN auch nach entsprechender Anpassung direkt zur Unterstützung von Beratungs- und Vertriebsprozessen eingesetzt werden. Insbesondere für unerfahrenes Personal in neuen Vertriebskanälen ist ein strukturierter, an den Bedürfnissen des Kunden orientierter Zugriff auf Informationen essentiell.

Damit haben SN auch im Bereich des eLearning ihre Bedeutung. Ihre Stärken entfalten sie auch im eBusiness, wo sie zur semantischen Beschreibung von Datenstrukturen dienen. Im Backoffice können sie inhaltlich gleiche aber unterschiedlich strukturierte Produktkataloge aufeinander abbilden. In der Schnittstelle zum Anwender bieten sie gleichzeitig neue Möglichkeiten, komplexe Daten benutzergerecht zu vermitteln.

In jedem Fall ist jedoch wie bei allen Arten der Software- oder Anwendungsentwicklung ein systematisches Vorgehen erforderlich, welches eine effiziente Umsetzung gewährleistet. Ein  Vorgehensmodell sollte dabei die spezifischen Eigenheiten der betreffenden Organisation berücksichtigen. Semantische Netze erhalten somit auch eine fundamentale Bedeutung als Methode für ein nachhaltiges Wissensmanagement. Mit diesem Thema wird sich der dritte Teil dieses Artikels näher befassen.

Mit assoziativ verknüpften Daten zu lebendigem Wissensmanagement

original Fachartikel aus der Fachzeitschrift DoQ

Eine meiner ersten Veröffentlichungen zum Thema von 2002. Damals veröffentlicht im Fachmagazin „DoQ“, das es leider nicht mehr gibt.

Struktur im Informationschaos

Erfahren Sie in diesem 3-teiligen Artikel wie Sie mittels semantischer Strukturierung Informationsinseln verknüpfen und Wissen transparent verteilen.

Teil 1: Struktur im Informationschaos

Um Menschen den Umgang mit Wissen zu erleichtern, müssen IT-Systeme Daten nicht nur flexibel verwalten, sondern vor allem Beziehungen zwischen einzelnen Informationen nachvollziehbar machen. In diesem dreiteiligen Grundlagenartikel werden Sie lernen, wie Sie Informationen flexibel und transparent organisieren und für vernetzte Wissensmanagement-Anwendungen nutzen können. Dieser erste Teil diskutiert grundlegende Konzepte, die bei der Strukturierung von Informationen beachtet werden sollten.

Herr Müller arbeitet im Bereich Private Banking eines internationalen Finanzunternehmens und kämpft gerade mit einem Problem, das Computerbenutzern, die Ihre Dokumente elektronisch verwalten, bekannt sein dürfte: Er hat diesen Morgen von einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ein interessantes Dokument erhalten, in welchem die „Besteuerung von Kapitalanlagen“ in verschiedenen Ländern Europas diskutiert wird. Dabei wird besonders auf die Bedeutung der Unternehmenssteuerreform in Deutschland eingegangen. Weil es auch für seine Kollegen interessante Informationen enthält, möchte er es Ihnen in dem haus-internen Dokumentenmanagementsystem (DMS) zur Verfügung stellen. Doch wo soll er es ablegen? In der Ordnerstruktur des DMS findet er verschiedene hierarchische Verzeichnisse: eines zu Steuern, eines zu Kapitalanlagen, eines zu Gesetzen. Er entschließt sich aufgrund des Titels des Dokumentes, dieses unter Kapitalanlagen abzulegen. Ebenso gut hätte er das Dokument unter Steuern oder Unternehmenssteuerreform archivieren können, optimalerweise unter allen diesen drei Kategorien.

Kommt Ihnen dieses Szenario bekannt vor? Die Einordnung von Dokumenten in hierarchische Verzeichnisstrukturen ist die übliche Vorgehensweise zur Klassifizierung von Dokumenten. Und für weniger komplexe Themenbereiche und geringe Dokumentenmengen auch eine sehr pragmatische. Auf den ersten Blick erfordert sie wenig Aufwand. Man spezifiziert die zu klassifizierende Dokumentenmenge sowie den Benutzerkreis, sammelt einige wichtige Begriffe zu dem betrachteten Themenbereich, gruppiert diese hierarchisch nach Über- und Unterpunkten und stellt Dokumente in die Struktur ein. Bei kontinuierlich wachsenden Dokumentenmengen wird jedoch erfahrungsgemäß sehr schnell der Punkt erreicht, an dem kein geeigneter Ordner verfügbar ist. Als Folge wird ein neuer Unterordner angelegt (vgl. Abb. 1: Risiken sowohl unter Kapitalanlagen à Immobilien als auch unter Kapitalanlagen à Aktien etc.), vorhandene Ordner in andere Verzeichnisse verschoben oder dupliziert. Bereits bei wenigen beteiligten Personen führt dies zu Schwierigkeiten,  denn Menschen haben immer einen individuellen Zugang zu Informationen. Was für den einen Anwender vor dem Kontext seines Aufgabenbereiches eine sehr sinnvolle Strukturierung darstellt, ist für einen anderen oftmals nur schwer nachvollziehbar. Für Unternehmen mit mehreren Abteilungen, in denen Wissen bereichsübergreifend verwaltet wird, sind hierarchische Verzeichnisse nicht mehr transparent. Ein Mitarbeiter aus dem Marketing wird sicherlich die gleichen Dokumente nach anderen Kriterien klassifizieren als z.B. der Rechtsexperte des Unternehmens. In der Folge führt dies zu einem ineffizienten Umgang mit Informationen, deren Folgen für die Produktivität des Unternehmens oft unterschätzt werden.

Ausschnitt aus einer hierarchischen Verzeichnisstruktur im Anwendungsbereich Vermögensverwaltung. Das Dokument kann nicht eindeutig zugeordnet werden, sondern müsste korrekterweise in mehreren Verzeichnissen abgelegt werden. Die Struktur zeigt, dass es in hierarchischen Bäumen nicht möglich ist, mehrere Sichten auf ein Thema übersichtlich abzubilden. Das Verzeichnis Steuern enthält gleichzeitig Unterstrukturen für verschiedene Steuerarten aber auch verschiedene Länder. Die Unternehmenssteuerreform gilt aber wiederum nur in Deutschland. Ein ähnliches Problem zeigt sich bei den Fonds: Ein Mischfonds investiert in Aktien und Renten. Der Verzeichnisstruktur kann dies aber nicht entnommen werden. Hierfür hätte das Mischfonds-Ordner zweimal angelegt werden müssen (unter Aktien- und Rentenfonds).

Hierarchische Verzeichnisstrukturen: eindimensionale Sackgasse

Eine hierarchische Verzeichnisstruktur ist in mehrerlei Hinsicht problematisch:

  • Wie wird sichergestellt, dass die Struktur für Personen mit unterschiedlichen Aufgabenbereichen und Erfahrungen gleichermaßen brauchbar ist?
  • Wie kann die hierarchische Struktur bei zunehmender Informationsmenge erweitert werden, ohne dass nur schwer beherrschbare Redundanzen in den die Verzeichnisse kennzeichnenden Begriffen auftreten?
  • Sollten die Namen der Verzeichnisse nach dem Inhalt der Dokumente klassifiziert werden, oder nach ihrer Herkunft (Autor), ihrem Verwendungszweck oder sogar nach mehreren dieser oder anderer Kriterien gleichzeitig?
  • Wie wird sichergestellt, dass bei einer Reorganisation (Umbenennung, Umsortierung, Erweiterung) der Verzeichnis-Struktur die zugeordneten Dokumente weiterhin in den richtigen Ordnern zu finden sind?
  • Wie kann vermieden werden, dass zwei verschiedene Dokumente, die in völlig unterschiedlichen Pfaden liegen, in etwa die gleichen Themen behandeln (z.B. zwei Dokumente zum Thema Besteuerung von Kapitalanlagen, eines unter Kapitalanlagen, das andere unter Steuern)?

Die Erstellung einer sinnvollen und auch für verschiedene Benutzer tragfähigen Verzeichnisstruktur bzw. Taxonomie ist also eine sehr schwierige Aufgabe. Die Erfahrung zeigt, dass selbst bei äußerster Sorgfalt langfristig keine stabile Klassifikation gefunden werden kann. Die Ursache ist klar: Menschen denken nicht in hierarchischen Strukturen, sondern assoziativ. Sie verknüpfen Informationen in immer wieder neuen Zusammenhängen – abhängig vom Kontext, sprich ihrem individuellen Erfahrungshintergrund sowie der aktuellen Situation oder dem Ziel ihres Handelns.

Verschlagwortung als Ausweg?

Moderne DMS erlauben die Verschlagwortung von Dokumenten und bieten somit die Möglichkeit, ein Dokument mehreren Themen gleichzeitig zuzuordnen – in unserem Beispiel den Kategorien Kapitalanlagen, Besteuerung, Europa, Unternehmenssteuerreform. Die Schlagwörter (Keywords) sind mit den Dokumenten nur lose assoziiert. Auf diese Weise kann man einem Dokument mehrere Schlagwörter gleichzeitig hinzufügen, sie aber auch jederzeit auf einfache Weise ändern. Die Verschlagwortung hat jedoch andere Nachteile:

  • Keywords sind für die Menschen hilfreich, die ihre Bedeutung bereits kennen. In komplexen Fachgebieten ist die Bedeutung von Schlagworten und insbesondere deren Kombination für den Informationssuchenden nicht immer offensichtlich, zumal Begriffe je nach Zusammenhang, d.h. ihrem Kontext, auch unterschiedliche Bedeutungen haben.
  • Die Pflege von Schlagworten ist mühsam. Da sie meist als einfache, unstrukturierte  Listen von Wörtern geführt werden, ist die Organisation einer großen Menge sehr unübersichtlich. Insbesondere wenn Autoren die Verschlagwortung eines Dokumentes selbstständig vornehmen, wird die Liste der Begriffe immer länger und undurchschaubar.
  • Schlagwörter zeigen einem Benutzer an, zu welchen Themen ein Dokument in irgendeiner Form Informationen enthält. Es ist aber vollkommen unklar, in welchem Zusammenhang die durch die Schlagwörter gekennzeichneten Themen selbst stehen.

Verknüpfung von Meta-Daten

Keywords können als Meta-Daten aufgefasst werden, in dem Sinne, dass sie  beschreibende Information über den Inhalt der Dokumente liefern. Problematisch bleibt, dass sie selbst zueinander in keiner definierten Beziehung stehen. Damit besteht der Nutzen von Schlagworten auch nur in der Verbindung mit den Dokumenten. Eigenständig und losgelöst von den Inhalten der Dokumente sind sie für einen Menschen wenig informativ. Die Aneinanderreihung der Begriffe Kapitalanlage, Steuern, Risiko, Investmentstrategie alleine ist wenig aussagekräftig.

Wäre es nicht hilfreich, wenn bereits in der Meta-Struktur die Zusammenhänge der Begriffe verständlich gemacht werden? Beispielsweise durch die Beschreibung, dass Kapitalanlagen unterschiedlichen Arten von Steuern unterliegen, diese wiederum Möglichkeiten bieten, in Abhängigkeit des Risikoprofils eines Anlegers durch spezifische Investmentstrategien Steuern zu sparen? Verknüpfte Meta-Daten machen so die Zusammenhänge explizit und erlauben auch Nichtexperten weitaus besser die Inhalte assoziierter Dokumente und damit deren Bedeutung für seine eigene Situation einzuschätzen – wohlgemerkt, ohne dass er die Dokumente zuvor lesen muss.

Mehrwert durch Trennung von Struktur und Inhalt

Eine zweite entscheidende Verbesserung bei der Klassifizierung von Informationsressourcen kann dadurch erreicht werden, dass die Struktur der Meta-Daten von den verknüpften Inhalten getrennt wird. Die Meta-Information kann dann nämlich flexibel und unabhängig von einer konkreten Dokumentenmenge oder einem konkreten Projekt verwendet werden. Sie kann bei der Erweiterung des Dokumentenbestandes einfach angepasst werden, in anderen Projekten oder Organisationen aber auch für andere Anwendungszwecke eingesetzt werden.

Denn die Strukturierung von Informationsquellen wird in Unternehmen an vielerlei Stellen benötigt. Eine wichtige Anwendung ist der Aufbau eines unternehmensweiten Intranets.

Strukturinformation für das Intranet

Die Struktur von Intra- oder auch Internet-Seiten wird häufig auch als Sitemap bezeichnet. Menüstrukturen bieten den einfachen Zugang zu verschiedensten Arten von elektronischen Informationen – neben Office-Dokumenten auch Bild- und Tonmaterialien. Ganz ähnlich wie in Dateiverzeichnissen gibt es auch hier in der Regel Unterordner zur besseren Orientierung des Anwenders. Für das Internet haben sich inzwischen de facto-Standards für die Strukturierung entwickelt. Im Hauptmenü finden sich immer wieder Kategorien wie Company, Produkte, Services, News etc. In Intranets, wo die Menge der Informationen i.a. viel größer ist, bedarf es jedoch ebenfalls einer individuellen Strukturierung der fachlichen Inhalte. Hier ergeben sich ähnliche Probleme wie in Verzeichnisbäumen. Die Programmiersprache HTML erlaubt zwar Links zwischen beliebigen Elementen, so dass auch von Dokumenten, die einer bestimmten Taxonomie wie z.B. Produkte untergeordnet sind, auch Querverweise zu anderen HTML-Seiten wie der Kategorie Services möglich sind. Diese Links sind jedoch fest mit dem Inhalt der Seite verknüpft. Wenn man das Dokument entfernt, welches den Link enthält, gibt es keine offensichtliche Verknüpfung mehr zwischen den Bereichen Produkte und Services. Erneut liegt in der Trennung von Struktur und Inhalt wiederum ein deutlicher Mehrwert gegenüber einer fest verknüpften HTML-Programmierung.

Datenbankstrukturen

Das Prinzip der Trennung von Struktur und Inhalt wird bei Datenbanksystemen in der Informationstechnologie bereits seit langem erfolgreich praktiziert. Umso erstaunlicher ist es, dass Informationen in den meisten Fällen immer noch nach einfachen hierarchischen und weniger tragfähigen Konzepten verwaltet werden. Datenbanken besitzen eine die Inhalte beschreibende Meta-Struktur, das sog. DB-Schema. Die Daten selbst sind beziehungslos, können aber aufgrund der Verknüpfungen im Schema interpretiert werden (vgl. Abb. 2). Die Datenbank kann auf diese Weise mit beliebigen Daten befüllt werden und das Schema selbst kann auch in anderen Anwendungen wiederverwendet werden. Mit anderen Worten: in der Struktur des Schemas liegt bereits fachliches Wissen. Dieses kann dann auch projektübergreifend zur Implementierung von DB-Anwendungen verwendet werden.

In Datenbanken ist die Struktur von den Inhalten (Daten) getrennt. Die Verknüpfungen zwischen den Daten werden Anwendern über die Struktur des Schemas verdeutlicht. Auf diese Weise ist schnell erkennbar, dass das System Adressen sowohl von Kunden als auch von Herstellern speichert, oder dass ein Kundenauftrag sowohl Produkte von Drittherstellern als auch eigene Produkte unter Verwendung von Komponenten von Drittherstellern enthalten kann.

Datenbankstrukturen

Ziel: Semantische Meta-Strukturen

Die Programmierung einer Datenbank ist jedoch eine Aufgabe, die neben der fachlichen Kenntnis der zu beschreibenden Strukturen auch die Kenntnis von Datenbank-Beschreibungssprachen erfordert. Als rein technische Sprache legt sie dem Entwickler zudem deutliche Beschränkungen im Vergleich zur Aussagekraft der menschlichen Sprache auf. Im zweiten Teil dieses Artikels wird gezeigt, wie mittels sog. Semantischer Netze eine strukturierte Beschreibung von Informationszusammenhängen erfolgen kann, die beide prinzipiellen Nachteile der beschriebenen herkömmlichen Methoden zur Daten- und Dokumentenstrukturierung überwindet:

  • Semantische Netze erlauben eine einfache assoziative Verknüpfung von Begriffen jenseits strenger hierarchischer Beziehungen. Sie stellen Begriffe explizit in kontextabhängige Zusammenhänge und machen auf diese Weise implizites Wissen der darunter liegenden Ressourcen den Anwendern transparent.
  • Dadurch definieren sie eine aussagekräftige Informationsstruktur, die auch ohne die Verknüpfung mit Dokumenten einen Wert besitzt und flexibel verändert und für verschiedene Anwendungszwecke angepasst werden kann.

Semantische Netze erhalten damit auch eine fundamentale Bedeutung für das Wissensmanagement, die im dritten Teil dieses Artikels näher erläutert wird.